Top und Flop

Hofesh Shechter eröffnet das Festival Tanztheater international in Hannover

Hannover, 01/09/2007

Unter der halbhoch im Hintergrund aufgehängten Scheinwerferbatterie, die volle Leistung grell nach vorn abstrahlt, taucht eine siebenköpfige Männergruppe wie aus dem Nichts auf, marschiert nach vorn und verharrt dort in Linie, Spielbein im passé, Arme vorn gerundet in Brusthöhe: ein Moment der klassischen Konzentration für Tänzer und Publikum im ausverkauften Saal der Orangerie in Hannover-Herrenhausen. Dazu ertönt ein ostinat dumpf-krachendes Schlaggeräusch mit immenser Lautstärke. Ein starker Beginn von Hofesh Shechters Stück „Uprising“ („Aufstand“), mit dem das Tanztheater International in Hannover (30.8. bis 8.9.2007) eröffnet wird.

Der „internationale“ Shechter, vor 32 Jahren in Israel geboren, arbeitet in Großbritannien, besitzt auch einen deutschen Pass. Mit „Uprising“, Teil der Trilogie „deGeneration“, machte der „Shooting Star“ (Programminfo) Furore. Zu Recht: Mit dem sehr geschickten Wechsel von Scheinwerferkegel-Fokus und Blackout, von Lichtkreisen und dunklen Zwischenräumen, in denen Tänzer verschwinden, um unversehens an anderer Stelle wieder aufzutauchen, schafft Lichtdesigner Lee Curran eine Atmosphäre des Traumhaften, manchmal Albtraumhaften. Shechter nutzt sie zu dauernd örtlich verschobenen Verdichtungen, hier eine Art Zweikampf, dort ein Kurzsolo, dann eine Gruppe kompakt zusammen, synchron Arme reckt wie eine Demo-Geste. Viel wickelt sich am Boden ab, mit einer ganzen eigentümlichen Dynamik der ansatzlosen Attacke.

Faszinierend die „tierischen“ Bewegungen, wenn beispielsweise einige Männer im seitlichen Tiefschritt, ausbalanciert von scheinbar überlangen Armen, geschmeidig wie die Orang-Utans über die Fläche huschen. Ebenso die „pflanzlichen“ Momente, wenn etwa die gespreizten Hände aus der Körperbeugung empor gereckt werden wie Astwerk. Shechter bleibt unpathetisch, streut witzige Episoden ein: Aus dem kumpelhaften Auf-die-Schulter-Klopfen entsteht durch erhöhte Schlagstärke urplötzlich eine Keilerei wie unter pubertären Jungen.

Die Tonkulisse tut ein Übriges, die Atmosphäre zu verdichten. Nach einer längeren perkussiven Phase bricht da ein tropischer Regenschauer mit einer Wucht aus den Lautsprechern, dass man sich als Zuschauer immer feuchter fühlt. Schließlich kulminiert das Geschehen in einem rasenden Solo. Blackout. Scheinwerferbatterie des Anfangs. Die Gruppe schließt sich vorn zum Pulk, einer stößt ein rotes Fähnchen in die Luft – allgemeines Gelächter. Es war wohl nur ein Revolutiönchen, was sich unterhaltsam und beklemmend zugleich abspielte. Selbstironie Shechters, der in einem Interview sagt, seine Arbeit sei nicht politisch. Enthusiastischer Beifall für Choreograf und seine exzellenten Tänzer.

Das zweite Stück „In Your Rooms“ präsentiert sich, als habe sich Shechter gesagt, warum ein Erfolgskonzept ändern, also verwende ich gleichen Mittel wie in „Uprising“: Scheinwerferkegel, Dämmerlicht, Dunkel, Blackouts, Auftauchen und Verschwinden, kompakt und auseinander gezogen. Das neunköpfige Ensemble führt Bewegungsfolgen aus, die denen in „Uprising“ fatal ähneln. Den drei hinzugekommenen Frauen ist nicht vergönnt, eine besondere Farbe einzubringen. Einer faselt aus den Lautsprechern verquastes Zeug über den Kosmos, über „talking a lot instead of feeling“, „structure creates order“. Stimmen überlagern sich, das Band läuft rückwärts, Anarchismus scheint auszubrechen.

Aber nein, alle bleiben brav, hangeln sich unstrukturiert durch die Zeit. Surreale Momente schiebt Shechter ein wie das Putzen des Bühnenboden mit schiebenden Handkanten, das Spotlicht spielt den Staubersatz. Komik mit dem Holzhammer verteilt er: Einer hält das Schild „Don’t follow leaders“ vor der Brust, er dreht es um und - surprise, surprise - da steht geschrieben: Follow me. Es hilft nichts, die Choreografie, von den Tänzer/innen mit der gleichen Intensität wie das erste Stück getanzt, ist ein Flop.


Links: www.tanztheater-international.de / www.hofesh.co.uk

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern