Die französische Schule

Muriel Boulay ist Professorin am Conservatoire national supérieur de Musique et Danse de Lyon

Lyon, 02/12/2009

Während der letzten Herbstferien-Woche in Nordrhein-Westfalen habe ich eine Schülerin zum CNSMD in Lyon begleitet. Ich habe von Direktor Jean-Claude Ciappara die Besuchserlaubnis bekommen und meine Schülerin dürfte die ganze Woche mit dem ersten Ausbildungsjahr mittrainieren! Eine Super-Gelegenheit, für die Schülerin und auch für mich, um wieder in die französische Technik einzutauchen! Ich habe hier in Deutschland vieles an die russische Technik angepasst. Aber das soll keine Wertung sein! Ich habe in Lyon vieles gesehen, ich konnte zusehen, wo ich wollte. Ich frage mich oft, ob das auch in unseren deutschen klassischen Akademien möglich wäre?

Es gibt zwei Abteilungen, Klassisch und Contemporain (Zeitgenössisch). Die Schüler und Schülerinnen sind zwischen 15 und 19 Jahre alt, die Ausbildung dauert 4 Jahre, wobei das letzte im „Jeune ballet de Lyon“ stattfindet, der jungen Kompanie, die der Schule angeschlossen ist. Die Jüngsten machen ihr Fernabitur mit zahlreichen Angeboten an Nachhilfe. Es gibt ein Internat gegenüber der Schule, auf der anderen Seite der Saône, dem Fluss, der durch Lyon fließt.

Der Unterricht fängt um 9 Uhr an, die Lehrer sind um 8:15 Uhr schon da, machen ihre eigenen Aufwärmübungen und diskutieren ganz entspannt. Das schafft eine gute Arbeitsatmosphäre im Lehrerteam.

Ich habe die klassische Lehrerin Dominique Genevois besucht, eine ehemalige Béjart-Solistin, sie unterrichtet das erste und zweite Jahr, sehr tänzerisch. Der Klassisch-Lehrer Philippe Lormeau, ehemals Opéra de Paris, hat die Jungs, unterrichtet Pas de deux und ab und zu das zweite Jahr. Er unterrichtet sehr präzise und humorvoll, er arbeitet sehr sorgfältig an den Armen, dem Blick und vor allem an den Füßen! Ich habe auch öfter beim klassischen Unterricht des dritten und vierten Jahres von Muriel Boulay zugesehen. Die französische Technik arbeitet viel mehr mit den Füßen und den Unterschenkeln, in einem ganz schnellen Tempo mit sehr vielen Passés, Retirés, schnellen Tendus, Ballonnés, Ballottés, Jetés, alles für den Unterschenkel. Die Stange von Muriel Boulay dauert 35 Minuten und danach ziehen die Mädchen die Spitzenschuhe an für die Mitte, jeden Tag!

Bevor Ihr Muriels Antworten auf meine sechs Fragen lest, stelle ich sie Euch erstmal vor: Muriel Boulay tritt mit zehn Jahren in die Ballettschule der Opéra de Paris ein. Mit 17 Jahren hat sie ihr erstes Engagement am „Théâtre de la Ville“ in Paris, mit dem Choreografen Felix Blaska. Es folgen Engagements am „Ballet du Rhin“, beim „Theatre du silence“ von Brigitte Lefèvre und Jacques Garnier und dem „Ballet-Theatre Joseph Russillo“. In 1978 wird sie an der Opéra de Lyon zur „Danseuse Etoile“ ernannt. Die letzte Zeit ihrer Bühnenkarriere verbringt sie ab 1986 bei Jean-Claude Gallotta. 1992 wird sie ans Conservatoire National supérieur de Musique et Danse in Lyon berufen, erst als Ballettmeisterin des „Jeune ballet“ und ab 2005 als Professeur de Danse Classique. Sie unterrichtet regelmäßig die Kompanie von Jean-Claude Gallotta und die Ballets Preljocaj.


Sechs Fragen an die „Lehrer, die uns bewegen“ 

1. Wie und wann sind Sie zum Unterrichten gekommen?

Muriel Boulay: 1992, mit 40 Jahren, war ich durch ein gesundheitliches Problem, eine Operation am Rücken, gezwungen das Tanzen aufzugeben. Der damalige Direktor des CNSMD hat mich gefragt, ob ich Ballettmeisterin der jungen Kompanie an der Schule werden möchte und da habe ich angefangen zu unterrichten.

2. Welche Meister haben Sie nicht vergessen? Und warum?

Christianne Vaussard: Sie war die Weiblichkeit im Tanz, sehr musikalisch und präzise. Streng und gründlich im Stil. Raymond Franchetti für seinen Humor und seine Persönlichkeit, seine sehr genau strukturierten Stunden, und weil in seinem Unterricht alle großen Stars trainiert haben - wenn man z.B. mit Nurejew an der Stange war, vergisst man das nie mehr!

3. Sind Sie der Meinung, dass man das Lehren lernen kann? Wenn ja, wie sollte Ihrer Meinung nach so eine Ausbildung aussehen? 

Ja! Mir hat es geholfen. Als ich mit Tanzen aufgehört habe, habe ich 200 Stunden Pädagogik studiert: Musik, Anatomie, Psychologie, Kinderentwicklung. Man kann Lehrer sein, ohne es zu lernen, und man kann es lernen, ohne es zu sein! Jean Jaurès hat gesagt: „Man lehrt nicht nur, was man weiß, man lehrt, was man ist!“

4. Muss für Sie ein Lehrer professionell getanzt haben?

Ja! Die künstlerische Dimension und die Bedeutung der Bühne sind für unsere Arbeit sehr wichtig.

5. Was ist für Sie das Wichtigste für erfolgreichen Unterricht?

Das Tempo und die Struktur im Unterricht.

6. Welche Korrekturen sollen Ihre Schüler nicht vergessen?

Schlichtheit! Nicht aufgeben. Die Gründlichkeit des klassischen Tanzes nicht vergessen und sich immer weiterentwickeln.
 

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