Heinz Spoerli „... und mied den Wind“

Zürich, 05/09/1999

Das Züricher Ballett hat einen neuen Schatz in seinem Repertoire: Heinz Spoerlis soeben uraufgeführte Bach-Choreografie „... und mied den Wind“ gehört zu den großen Werken dieses Genres. Der Züricher Ballettchef ist einer jener wenigen Choreografen, die sich so intensiv wie respektvoll der Musik von Johann Sebastian Bach widmen. Respektvoll bedeutet in diesem Zusammenhang erstens, dass er die Musik stets unversehrt lässt und zweitens, dass er sich ihrer erst bedient, wenn er mit ihrer Hilfe wirklich etwas Neues sagen kann.

Mit seiner jüngsten Arbeit zeigt Spoerli zunächst, dass er sich endgültig als gleichberechtigter Partner des Komponisten begreift, dass er sich von ihm nun nicht mehr den Tanz gewissermaßen diktieren lässt, sondern ihm selbstbewusst entgegen tritt. Spoerli hat diesmal die erste, vierte und fünfte der sechs Suiten für Violoncello solo ausgewählt, die von Claudius Herrmann mit klarem, unsentimentalem Strich live auf der Bühne gespielt werden. Die ersten beiden Sätze waren bereits im Juni als eine Art Vorpremiere unter dem Titel „Elements“ bei den Festspielen im Ludwigsburger Schlosstheater zu sehen. Aber nun, choreographisch überarbeitet und im Zusammenhang mit dem neuen dritten auf der größeren Bühne des Züricher Opernhauses, haben sie ein ganz anderes Gesicht und Gewicht bekommen. Dazu trägt wesentlich der von Sergio Cavero entworfene, riesige Metallreif bei, der sich im ersten Satz über die Tänzer erhebt, im zweiten kippt, und aus dem im letzten Flammen schlagen, so dass in einem Feuerring getanzt wird. Das Ballett, so lässt schon der frühere Titel vermuten, handelt von den Elementen, was auch von den erdbraunen, später wasserblauen und endlich feuerroten Trikots (Spoerli) suggeriert wird. Doch vor allem handelt es von den elementaren menschlichen Beziehungen. Von Lust und Leid, vom Glück der Liebenden, dem Schmerz der Verlassenen und der Gleichgültigkeit der Verlassenden, von der überschäumenden Freude des harmlosen Schäkerns und vom Genießen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Spoerli erzählt das mit sich abwechselnden, ineinander übergreifenden Formationen, vom Solo bis zu größeren Gruppen, aber das dreissigköpfige Ensemble ist nur einmal gemeinsam auf der Bühne, wenn es sich am Ende um den Cellisten versammelt und nur der Musik lauscht. Dann sind auch die Flammen erloschen, und es ist wohl alles gesagt, was gesagt werden musste.

Das Stück erinnert sehr an Spoerlis meisterhafte „Goldberg-Variationen“, hat aber noch erheblich an gestalterischer Kraft und formaler Klarheit gewonnen. Am bemerkenswertesten allerdings ist des Choreographen immens gewachsenes Vermögen, mit reinem, um eigene Elemente bereichertem, neoklassischem Tanz auf Spitze anekdotische Begebenheiten und Entwicklungen zu erzählen, kaum merkliche Verbindungen zwischen Individuen erscheinen zu lassen. Spoerlis Behandlung des Bühnenraumes, sein Auf und Ab des dramatischen Geschehens, die Plastizität seiner Gruppenchoreografien und seine Geschmackssicherheit selbst in heikelsten Augenblicken machen dieses neue Ballett zweifellos zu einer der bemerkenswertesten Bach-Kreationen für das Ballett unserer Zeit. Und was die Qualität der Züricher Tänzer angeht, unter ihnen seit dieser Spielzeit auch die vortreffliche Ex-Stuttgarterin Ana-Carolina Quaresma, so kann man vor den Ballettmeistern der Truppe nicht tief genug den Hut ziehen.

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