Zwölfmal Tanz an zwölf Orten: „Mit Alice in den Städten“

Das Künstlerkollektiv Go Plastic aus Dresden im Leipziger LOFFT

Leipzig, 11/09/2012

Eigentlich müsste man „Mit Alice in den Städten“ zwölfmal sehen. Denn vermutlich läuft jede der Städtereisen mit Alice anders ab. Die zwölf Stationen werden jeweils in anderer Reihenfolge angetanzt. Das Los entscheidet. Die Kompanie selbst weiß laut Programmzettel nicht, welche Musik, welche Sounds als nächste zugespielt werden, welche Stationen und welche dazugehörigen Choreografien aufeinander folgen. Für die Zuschauer aber folgen die zwölf Stationen ohne wahrnehmbare Unterbrechungen aufeinander.

Das „Zufallsprinzip“ hingegen wird sichtbar gemacht, indem die Tänzerin Sarah E. Lewis im eleganten, schwarzen Abendkleid in einem Kasten aus Plasteglasscheiben jeweils Karten zieht und deren Nummern in unsichtbarer Schrift auf die Scheiben schreibt. Hin und wieder spielt sie mit einem großen Wollknäuel, als versuche sie dem Faden der Ariadne zu folgen, kommentiert mit ihren Bewegungen auch das Geschehen an den Stationen, wozu sie Requisiten aus Geschenkkartons entnimmt, die sich auch andernorts in der ganzen Szene verteilt befinden.

Andere Stationen dieser Städterreise sind ein altmodischer Tisch und zwei Stühle aus schwerem Gusseisen, wie man es in alten Gärten oder Terrassen von Kaffeehäusern finden könnte. Hier sitzt ein massiges Tier aus Plüsch. Ob Herrscher der Kaninchen oder König der Mäuse, ist nicht ganz eindeutig erkennbar. Es gibt eine Kaffeebar, auf der Menschen und Kaffeetassen tanzen, an der getrunken und von der aus Wasser auf Tänzer unterm Regenschirm geschüttet wird. Eine Vielzahl schwarzer Autoreifen findet Verwendung in unterschiedlich zu fügenden plastischen Konstellationen. Von besonderem Reiz ist es, wenn die Reifen zu Türmen aufgeschichtet werden und die Tänzer darin die Gebilde bewegen oder wie seltsame Gewächse im Wind sich daraus hervor bewegen. So wie die Szenen in austauschbarer Reihenfolge Gestalt gewinnen, so tauschen auch zwei Tänzerinnen und ein Tänzer ihre Gestalten. Wobei sie aber dennoch in der Art ihres Tanzes oder ihrer Bewegungskunst jeweils gewissen Typisierungen verpflichtet bleiben. Da ist vor allen Josefine Wosahlo als Tänzerin mit ausgesprochen starker Bewegungspräsenz. Susan Schuberts Part hingegen ist zurückhaltender, als gelte es ein Gegensatzpaar zu zeigen: Was sich die Eine traut, und was sich die andere noch nicht, oder nur unter Zögern zutraut. Robin Jung ist der Mann für alle, für beide Frauen und für sich selbst. Ob er geradewegs mit dem Gesicht in eine Geburtstagstorte matscht, von den Kolleginnen gewässert wird, oder mit Josefine Wosahlo eine rasante Showeinlage tanzt.

Cindy Hammer hat dieses Verwirrspiel mit den unterschiedlichen musikalischen Sounds und Songs, für die allein zehn Namen und Stile stehen, inszeniert und choreografiert. Alltagsgegenstände, Straßenrequisiten, Tanz- und Musikstile werden genutzt, um ein Verwirrspiel wie ein Puzzle aus zwölf Teilen in 75 Minuten willkürlich zusammenzusetzten und festzustellen, dass es augenblicklich, in dieser Zeit, in dieser Tanz-Theater-Welt passt. Morgen wird es anders sein. Für Tänzer offensichtlich kein Problem, für Zuschauer auch nicht: denn zu schroffen oder gar provozierenden Unstimmigkeiten kommt es nicht. Man zieht mit Alice durch die Städte, kommt hier und da per Zufall an, man verweilt länger oder kürzer, Eile ist nicht angesagt, Gefahren scheinen auch nicht zu lauern. Und darin mag das Problem liegen. Es fehlt diesem sympathischen Tanz-Trip noch an Momenten existenzieller Schärfe, es fehlt an Abgründen, an denen die Reisegesellschaft mit Alice gerade noch mal so vorbei schrammt. Die Potenzen sind auf jeden Fall da, tänzerisch, choreografisch, musikalisch und auch was die Ideen angeht. Und weil das so ist, möchte man gerne gespannt sein auf die weiteren Stationen der Reise mit Alice, alias Cindy Hammer und Go Plastic, an noch verrücktere, irreale Orte, als Spielgelbilder der scheinbar so normalen Realität.

 

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