NDT2

Ludwigsburg, 05/02/2000

Es war ein kluger Schachzug des Ludwigsburger Kulturamts, Schülern zum Preis von nur 10 Mark Eintritt in die Aufführung des NDT2, der Junioren-Compagnie des Nederlands Dans Theater, zu gewähren. Ob es bei dieser Aktion in Wahrheit darum ging, unverkaufte Tickets sozusagen als Last-Minute-Schnäppchen loszuschlagen, sei dahingestellt. Jedenfalls war das Forum-Theater rappelvoll, und am Ende des langen Abends buchstäblich die Hölle los. Das war ein Jubel und ein Toben, als wäre Michael Jackson persönlich aufgetreten.

Hatten noch eine Woche zuvor die Senioren des NDT3 mit ihrer ausgefeilten und persönlichkeitsstarken Darstellung begeistert, so powerte nun der Nachwuchs aus vollen Tanzrohren. Zu Beginn Jiri Kyliáns „Indigo Rose“ aus dem Jahre 1998, mit dem der tschechische Meister vier Damen und fünf Herren zu einer Musikcollage gleichsam ein Kompendium des modernen Tanzes abbrennen lässt, vom hyperaktiven Bewegungspuzzle über heiteren Jux mit eigenen und fremden Schatten, bis zu konzentriert-zeitlupenhaften Pas de deux, die in trauernde Erstarrung der gesamten Gruppe münden, während auf einer Projektionsfläche im Hintergrund Tänzer brutal aus dem Leben gerissen werden. Das ist so erschütternd, als hätte man selbst einen Freund verloren.

Johan Inger, Tänzer der Hauptcompagnie NDT1, geht mit „Mellantid“ (Zwischenzeit), seiner ersten Choreografie überhaupt, ganz anders zur Sache. Er schildert, ebenfalls zu verschiedenen Musiken, die Zeit einer glücklich verlaufenden Pubertät, an deren Ende sich die Hauptperson ihren Jugendtraum erfüllt, Pilot zu werden. Zwar ist Inger, das könnte auch kaum anders sein, von der kyliánschen Tanzsprache beeinflusst und bedient sich für das Schildern der ersten Liebe geschickt bei Mats Ek. Aber wie unbekümmert und immer wieder überraschend er dabei zu Werke geht, das ist so gekonnt und sympathisch, dass vor allem seine jungen Zuschauer, die sich bestens verstanden fühlen, zu Recht ganz aus dem Häuschen sind.

Und dann Ohad Naharins „Minus 16“, das der Chef der israelischen Batsheva Dance Company speziell für das NDT3 aus den „besten Stellen“ seiner erfolgreichsten Werke zusammengesetzt hat. Naharin geht unerhört gerissen vor. Zunächst nervt er seine Zuschauer damit, dass sich ein Mädchen bei vollem Saallicht zehn oder mehr Minuten völlig in sich versunken zu leise gespielten Bossa Novas rhythmischen Zuckungen hingibt, bis erste Proteste laut werden. Dann betreten immer mehr Tänzer die Bühne, tun das Gleiche, während langsam das Licht erlischt. Mit einem Male verfällt die Gruppe in eine derartige Raserei, dass das Publikum in erstaunte Rufe ausbricht. Es folgen Naharins berühmte Massenszenen zu traditioneller israelischer und dröhnender Popmusik, deren kollektive Aktionen, wie der Anblick marschierender Soldaten, nach und nach den Saal zum Kochen bringen. Eine Phase mit gerade durch ihre Banalität erheiternden Statements der Tänzer vom Band gewährt kurze Erholung, nach der es umso wilder weitergeht. Und als die Holländer noch aus dem Saal Zuschauer auf die Bühne nötigen und mit ihnen regelrechte Veitstänze aufführen, da gibt es kein Halten mehr. Keine Frage: An diesem Abend hat der Tanz jede Menge neue Fans gewonnen. Und das für zehn Mark pro Nase!

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