Kindliches Staunen im Angesicht des Todes

Martin Schläpfers Meisterwerk „Ein Deutsches Requiem“ in Duisburg gefeiert

Duisburg, 17/09/2012

Trauer und Trost, die Johannes Brahms‘ Chorwerk „Ein Deutsches Requiem“ atmen, sind in jeder der kurzen Sequenzen von Martin Schläpfers Choreografie für das „Ballett am Rhein“ zu spüren. Mit akrobatischer Artistik und skulptural statuarischen Formationen bis hin zur verfremdet angedeuteten Pietà konterkariert er die Musik der wohl ergreifendsten sakralen Komposition des 19. Jahrhunderts. Keine Totenmesse schrieb der norddeutsche Protestant auf biblische Textstellen, sondern eine ebenso Trost suchende wie Trost spendende Reflexion über die Endlichkeit allen Lebens („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras...“).

Archaik und Erdverbundenheit bilden eine faszinierende Symbiose in Schläpfers vielfältiger Körpersprache, die durchaus Raum für individuelle Akzente und Aktionen lässt. Gemessene Auftritte des Corps oder kurze Pas de deux in Zeitlupe wechseln mit stupenden dynamischen Tempi, wenn Männer in Dreier- und Viergruppen − wie Turner in schwarzen Hosen und ärmellosen Hemden − aus den Kulissen springen („... sie kommen mit Freuden...“; „Hölle, wo ist dein Stachel?“). In Fetzen hängen schwarze Georgette-Kleider über den fleischfarbenen Ganzkörpertrikots der Frauen. Alle tanzen barfuß. Nur Remus Şucheanā trägt in einem kraftvollen Solo mit der Andeutung eines Grand jeté Schläppchen. Und Marlúcia do Amaral stolziert, leicht hinkend, über die Bühne zum Chor „Ihr habt nun Traurigkeit“: rechts mit Spitzenschuh, links barfuß. Unendliche Zärtlichkeit liegt in ihrem Blick, wenn sie Spitzenschuh und Zehen dem zu Hilfe kommenden Şucheanā förmlich in die Fußrücken bohrt.

Die Besetzung verbindet rein schematisch Brahms‘ und Schläpfers Meisterwerke: großer Chor und zwei Gesangssolisten – Corps de ballet mit wenigen Solos. Beide Ensembles vereint das Orchester. Aber Schläpfer ist weit entfernt, die Musik eins zu eins in Bewegung umzusetzen oder die poetischen Texte der Chöre und Arien zu „vertanzen“. Am Ende des VI. der VII Teile ruht alles Kommen und Gehen, Springen und Drehen, Heben und Fallen. Wie eine staunende Kinderschar sitzt die Kompanie mit dem Rücken zum Zuschauerraum und lauscht dem Chor „Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft“. Erst nach der, wie es scheint, minutenlangen Generalpause erheben sich alle, um zum Schlusschor „Selig sind die Toten…“ zu tanzen.

Mit stehenden Ovationen und zehn minütigem Applaus feierte das Premierenpublikum die Tänzer, Schläpfer und sein Team sowie den musikalischen Leiter Axel Kober mit den Duisburger Philharmonikern, den Chor der Deutschen Oper am Rhein (Einstudierung: Gerhard Michalski) sowie Sylvia Hamvesi (Sopran) und Laimonas Pautienius (Bass-Bariton).

Das ZDF schnitt die Aufführung mit. Sie soll im nächsten Jahr auf 3sat ausgestrahlt werden. Im Opernhaus Düsseldorf, wo die Uraufführung im Juli 2011 stattfand, ist „Ein Deutsches Requiem“ wieder ab 14. Dezember zu sehen.
 

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