Junge Choreographen

Stuttgart, 24/04/2000

Vor zweiundvierzig Jahren ist die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft Freunde des Balletts gegründet worden. Beinahe ebenso lange veranstaltet sie ihre Workshops „Junge Choreografen“, bei denen annähernd die Hälfte jener Ballettmacher erste Werke vorgestellt haben, die heute die internationale Tanzszene bestimmen. Und, wer weiß, vielleicht hat sogar einst Marcia Haydée bei diesen Veranstaltungen Lust darauf bekommen, es selbst einmal zu versuchen und ihr sensationelles „Dornröschen“ im Jahre 1987 nur deshalb nicht für „Noverre“ choreografiert, weil es nicht ins Kammertheater gepasst hätte? Bei seiner Wiederaufnahme am 20. Juli beim Stuttgarter Ballett wäre das durchaus zu bedenken. Im Juni wird der Noverre-Gesellschaft und ihrem Gründer und Vorsitzenden Fritz Höver für ihre Verdienste der Deutsche Tanzpreis verliehen.

Das ist wohl einer der Gründe, dass fünf der neun Choreografen der jüngsten Veranstaltungsreihe, anders als sonst, nicht Tänzer des Stuttgarter Balletts sind. Die überregionale Bedeutung und Anziehungskraft dieser Workshops hätte nicht deutlicher betont werden können. Und tatsächlich gehörte der Beitrag des jungen Kanadiers Peter Quanz zu den bemerkenswertesten des Abends. Namentlich deshalb, weil sich Quanz in „Summit“ strikt ausschließlich des Bewegungsvokabulars der Danse d‘école bedient, mit ihm aber dennoch zu einem eigenen, stimmungsvollen und eindringlichen Stil findet.

Katja Wünsche, Javier Amo Gonzales und Mikhail Soloviev zeigen mit großem Ernst und exzellentem, persönlichen Ausdruck, wie umfassend der Begriff Pas de trois zu verstehen, und wie sehr er auf die gleichberechtigte Partnerschaft der Beteiligten angewiesen ist. Die würdevolle Musik von Eleni Kasaindrow, dem rumänischen Doina sehr ähnlich, wirkt wie für dieses Ballett geschaffen, dessen Choreograf alle Aufmerksamkeit verdient. Douglas Lee rechtfertigte mit „One to another“ die großen Hoffnungen, die er mit seinen früheren Arbeiten geweckt hatte.

Zu Beginn steht Ivan Cavallari mit eingefallener Brust im Dunkel und wendet sich schlurfend der eintretenden Bridget Breiner zu. Ihr Leiden zu lindern, scheint die richtige Therapie für ihn zu sein. Er trägt und stützt sie, hilft ihr auf und hebt sie hoch in die Lüfte, wo sie wie im Sprung erstarrt ruht. Das ruhig gesungene „Lullaby“ von Hjalmar Ragnarsson begleitet diesen Heilungsprozess, an dessen Ende sie allerdings frohgemut entschwindet, während er in seine alte Lethargie verfällt.

Die choreografische Palette des jungen Engländers scheint viel farbiger zu sein, als man bisher vermuten konnte. Alexander Makaschins „Touch“ ist eines jener angenehmen Stücke, in dem schöne Menschen zu schöner Musik schön tanzen. Ein fließendes, weit schwingendes Bild vollkommener Eintracht für Irina Schlaht, Dimitri Magitov und Alexander Zaitsev.

Sicher kommt einem Tänzer auf der Bühne zuweilen der Gedanke, was wohl geschehen würde, wenn er plötzlich diesen oder jenen Unsinn fabrizieren würde. Lior Lev hat diese Ideen offenbar in „Duor?“ für sich selbst und Eric Gauthier endlich einmal Tanz werden lassen. Ein Stück liebenswürdiger, grotesker Allotria zu einem Mozart-Duett, das richtig unbeschwerten Spaß macht.

Auch Xenia Leydel hat mit „Q“ ein jugendliches Stück geschaffen, in dem sich Alicia Amatriain und Eric Gauthier aufs Dynamischste anbaggern, zärtlich, dreist und verlegen zugleich, dabei tanzend, dass einem die Augen übergehen. Der Spaß, den sie dabei haben, knallt ihnen aus allen Poren.

Yoko Tanis für sich selbst choreografiertes Solo „Yuki“ erzählt mit sentimentalem Geschick die wehmütigen Erinnerungen einer Greisin an ihr einstiges Leben, die sie bei einem schönen Tässchen Kaffee genießt. Corinna Spieth lässt zu einer Musikcollage in „Antigone. Thyristor. Theben.“ von Vanessa Tauroni, Filip Barankiewicz und Jorge Nozal mit ausgefeilten, klar strukturierten Motionen tanzen, wie wenig die weibliche Vernunft gegen die männliche Kriegerdummheit auszurichten vermag. Rolando d‘Alesio steuert mit „Lachryma Antiqua“ gar ein richtiggehendes Osterballett bei, in dem Thomas Lempertz und Ivan Gil Ortega zu Monteverdi-Musik zunächst, geschmackvoll stilisiert, gekreuzigt werden, aber alsbald, von den Trösterinnen Roberta Fernandez, Sebnem Gülseker und Julia Krämer rührend versorgt, zu neuem, fröhlichen Leben auferstehen. Ein gekonntes und organisch gebautes Stück, das seinen von der bildenden Kunst beeinflussten Stil durchaus routiniert einsetzt.

Ein besonderes Lob gebührt allerdings Nathan Gardah, als Choreograf schon recht erfahren, der sich uneigennützig in den Dienst von zwei Schülern und sechs Schülerinnen der John-Cranko-Schule gestellt hat. Sie können sich in dem symmetrisch aufgebauten und durch kurze moderne Einschübe leicht verunsicherten „Années de Pélérinage“ (Liszt) als attraktive, gelassen auftrumpfende Anwärter auf das Stuttgarter Corps späterer Jahre empfehlen. Viel besser hätte es die Noverre-Gesellschaft in ihrem Ehrenjahr kaum treffen können.

Kommentare

Noch keine Beiträge