NDT II "Dream Play", "Déjà vu", "Solo", "Sechs Tänze"

Der Auftritt der Tanzfavoriten

Ludwigsburg, 07/04/2001

Bereits vor zehn Jahren hat Jiri Kylián dem Publikum der Ludwigsburger Festspiele im Forum-Theater mit seinem überdrehten Mozart-Ballett „Sechs Tänze“ Lachtränen in die Augen getrieben. Damals hatte die Hauptkompanie des Nederlands Dans Theaters das Pläsier. Nun war das im Jahre 1986 uraufgeführte Stück mit der Juniortruppe, des NDT, dem NDT II, an gleicher Stelle in der Tanzforum-Reihe des Kulturamtes wieder zu sehen. Und es kommt uns heute wohl noch heiterer und unbeschwerter vor, da wir doch von jungen Tänzern vor allem graue, pessimistische Werke gewohnt sind, in denen das ganze Elend dieser Welt angeprangert und die Unfähigkeit der Menschen zur Kommunikation beklagt wird.

Und ob diese acht übergeschnappten Twens kommunizieren können! Sie tun es mit allem, was ihre Körper hergeben, mit Armen, Beinen, Hüften und Augen. Von Mozarts kernigen Weisen wie von einem frischen Sturm angetrieben, fliegen die Röcke und Blicke, die Hände flattern lüstern zum anderen Geschlecht und finden sehr wohl ihre Ziele, da wird gebubelt und gestritten, man rammt Nebenbuhlern Messer in die Rücken, springt und dreht und kopuliert ein wenig, der Staub steigt aus den Perücken und im Hintergrund werden die Opfer der Duelle entsorgt. Schwer zu sagen, ob die auf der Bühne in den Resten ihrer barocken Unterwäsche mehr Freude haben, oder die im Saal, die diesem zynischen und veräppelnden Slapstick-Crescendo erotischer und tänzerischer Triebe, das mehr intelligente und alberne Gags ausschüttet, als es Schritte hat, vor Vergnügen quiekend folgen. Ein Hauptspaß.

Das einleitende „Dream Play“ von Johan Inger ist im Grunde auch ein Spaß, der allerdings nur den Bruchteil einer Sekunde dauert. Der Choreograf, er ist Tänzer beim NDT I, lässt einen merkwürdigen jungen Mann eine vorübergehende Frau beobachten, und für einen Augenblick entsteht in seiner Fantasie die Geschichte dessen, was geschehen könnte, wenn er sie ansprechen würde. Dazu verwendet Inger den ersten Teil von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“. Vier junge Kerle, voller Saft und Kraft, aber ohne Beschäftigung, begegnen zwei Mädchen. Streit entbrennt, er eskaliert, am Ende wird eines der Mädchen erschossen. Da lässt er die Frau lieber passieren.

Choreografisch hält sich das Stück weitgehend an das, was diese übermächtige Komposition üblicherweise hervorruft – atavistische Gruppenaktionen, Stampfen, Armerudern, wilde Sprünge und zärtliche Momente unsicheren Liebesverlangens. Inger geht recht geschickt mit dem Bühnenraum um, er kann sechs Tänzer wie ein großes Ensemble erscheinen lassen, und sein Einfallsreichtum hält den Spannungsfaden während der gesamten zwanzig Minuten straff. Doch das wirklich Neue an seiner Arbeit währt, wie gesagt, nur einen kurzen Moment.

Die Mitte des Abends wurde von zwei Balletten von Hans van Manen gebildet, in denen die jungen Tänzer ihre stilistische und technische Qualität beweisen konnten. Zunächst „Déjà vu“, ein meisterlicher Pas de deux über ein Paar, das zu Arvo Pärts „Fratres“ allmählich zueinander findet, sich nach der ersten Liebe im Alltag auseinander lebt und schließlich unter Schmerzen trennt. Rani Luther und Gustavo Ramirez Sansano tanzen das mit Delikatesse und einer für ihr Alter ungewöhnlichen Präsenz. Wie es ihnen gelingt, das Publikum stets etwas mehr ahnen zu lassen, als ihnen selbst bewusst ist, das hat große Klasse.

Schließlich „Solo“ (Bach), das auch im Repertoire des Stuttgarter Balletts ist. Die fabelhaften Pierre Pontvianne, Cyril Baldy und Miguel Oliveira tanzen diese eminent schnellen Miniaturen zwar etwas schlaksiger, geschmeidiger und „cooler“ als die Stuttgarter, arbeiten andererseits aber weniger ihre theatralischen, rivalisierenden Effekte heraus. So entsteht beinahe ein neues Stück. Die Holländer, deren letztjähriger Erfolg diesmal für ein hoffnungslos ausverkauftes Haus gesorgt hatten, sind auf dem besten Wege, Ludwigsburgs Tanzfavoriten zu werden.

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