Von schlichtem, tiefen Ernst

"Gloria in excelsis Deo" (Uwe Scholz) Leipziger Ballett

Stuttgart, 22/06/2001

Am Beginn des „Kyrie eleison“ betritt Kiyoko Kimura die bis zu den Mauern leere Bühne und bleibt einfach ruhig stehen. Sie trägt Bluejeans und ein weißes T-Shirt. Nach langer Zeit senkt sie ihren Kopf. Später blickt sie suchend hinter sich. Aus der Höhe gleitet langsam ein riesiger, quadratischer Gitterrahmen herab, der mit auf die Bühnenmitte gerichteten Scheinwerfern bestückt ist. Als er den Kopf der Tänzerin erreicht hat, taucht er ihn in gleißendes Licht, das nach und nach, je weiter er sich senkt, ihren ganzen Körper überflutet. Es ist, als sei Kiyoko Kimura in den Himmel aufgestiegen. Diese Szene ist die ergreifendste in dem abendfüllenden „Gloria in excelsis Deo“ von Uwe Scholz, mit dem seine Leipziger Compagnie an zwei Abenden im Stuttgarter Großen Haus gastiert hat.

Aber sie macht auch zornig. Denn sie beweist erneut, welchen Verlust das Stuttgarter Ballett erlitten hat, indem diese charismatische Ballerina von ihrem einstigen Chef Reid Anderson so lange mit diskreditierenden Nebenrollen abgespeist wurde, bis sie vor drei Jahren zu Scholz floh, der sie dem Stuttgarter Publikum nun wie eine Trophäe präsentiert. Dieses „Gloria“, vor einem Monat uraufgeführt, ist nicht vollkommen neu. Sein erster Teil, „Ich hatte viel Bekümmernis“, stammt aus dem Jahre 1996 und war bereits im vergangenen Dezember in Ludwigsburg zu sehen. Aus dramaturgischen Gründen wurde nun sein Schlusschor eliminiert, und es schließen sich ohne Pause Kyrie und Gloria aus Bachs h-Moll-Messe an.

In Leipzig singen und spielen Thomanerchor und Gewandhausorchester live, während in Stuttgart die Musik vom Band kam, leider im zweiten Teil mit störenden Nebengeräuschen. Begegnet uns Scholz zu Beginn noch als gewiefter Designer von hochglanzlackierten Gruppenarrangements, Körperskulpturen und artistischen Pas de deux, die Aria „Seufzer, Tränen“ zum Beispiel zeigt Sibylle Naundorf und Christoph Böhm in einem atemberaubenden Duo, dessen gleitend-akrobatische Raffinesse wohl kaum überboten werden kann, so ist der zweite Teil von schlichtem, tiefen Ernst bestimmt. Immer öfter erstarrt die Szene, lautlos schreiende Münder erschrecken, sanftes Licht umspielt die Tanzenden, während über ihnen das strahlende Gerüst wie ein drohendes Verhängnis ständig seine Position wechselt.

Scholz illustriert nicht den Text der Messe, zuweilen scheint das Geschehen ihm sogar zu widersprechen, sondern er zeigt Menschen, die hier mit ihrem Schicksal hadern und sich ihm dort vertrauensvoll ergeben. Wenn Tänzer zu sakraler Musik in Jeans auftreten, dann hat das häufig den gewissen Hautgout des vergeblichen Bemühens um Modernisierung. Aber in diesem „Gloria“ ist diese Kleidung ein sinnfälliges Symbol für den Menschen unserer Zeit, der sich hoffend in die Hände Gottes schmiegt.

Diesem überaus intimen Tanz ist nichts ferner als Larmoyanz oder geschmäcklerische Glätte. Und am Ende, im „Cum Sancto Spiritu“ findet das Ballett noch einmal zurück zu Scholzens jugendlicher Zuversicht, es stürmt gleichsam enthusiastisch der Zukunft entgegen, bevor das gesamte Ensemble, an der Rampe kniend, seine Arme ausbreitet und die Helle verlischt. Ein beeindruckendes Gastspiel einer Compagnie, die nicht nur durch ihre tadellose technische Qualität für sich einnimmt, sondern vor allem durch eine künstlerische Reife und Homogenität, zu der man der Bach-Stadt Leipzig nur gratulieren kann.

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