Premiere in Zürich

"Approaching Clouds"

Zürich, 02/09/2004

Die erste Premiere der neuen Spielzeit bestreitet der Züricher Ballettdirektor Heinz Spoerli mit vier eigenen, kürzeren Werken, drei Uraufführungen und einer Züricher Erstaufführung. Allen gemein ist, dass sie zu Kammermusik, in „Schläppchen“ und in beinahe virtuellen Dekorationen von Florian Etti (Ausstattung) und Robertus Cremer (Lichtgestaltung) getanzt werden.

Am meisten Eindruck machen erstaunlicherweise die noch aus Spoerlis Düsseldorfer Zeit stammenden „Szenen“ zu Robert Schumanns Kinderszenen op. 15, die Alexey Botvinov am Klavier unsentimental und spröde spielt. Ebenso schnörkellos schildert der Choreograf vor einer dichten, durchscheinenden Wand aus metallenen Schnüren kurze Augenblicke im Leben einer Familie, die eheliche Liebe und Vertrautheit, die Versuchungen, denen auch diese Partnerschaft ausgesetzt ist, das Aufwachsen der Tochter, deren erwachende Gefühle und erste Liebelei und schließlich den Verlust des erwachsenen Kindes. Das sind warmherzige, berührende und rührende Miniaturen, mit scheinbar leichter Hand skizziert, sozusagen choreografische Aquarelle, in denen vor allem Ilja Louwen und Nicolas Blanc als Eltern, Yen Han als ihre Tochter und der aus München nach Zürich gewechselte, brillante Dirk Segers als deren Freund sehr für sich einnehmen. Das einleitende „Phase“ für sieben Damen und einen Herrn erweist sich bald als Belastungsprobe für das Publikum. Steve Reichs minimalistisches „Violin Phase“, von Monika Baer live zum sie begleitenden Tonband gespielt, bei dem sich allmählich die Phasen verschieben, bis sie sich wieder decken und erneut verschieben, zerrt mit seiner monotonen Lautstärke so an den Nerven der Zuschauer, dass an seinem Ende erleichtertes Aufatmen hörbar wird. Spoerlis Stechschritte, rotierende Hüften und gestikulierende Arme, mit blendender Synchronität exekutiert, folgen nicht den Anweisungen der Klänge, sondern setzen ihnen eigene Veränderungen des Stils, der Personalstärke und der Bewegungsfolgen entgegen. Das ist gekonnt gemacht und interessant anzuschauen.

„Approaching Clouds“ für zwei Damen und vier Herren zur 1. Sonate für Violoncello und Klavier von Alfred Schnittke (Christine Theus und Alexey Botvinov) könnte eine Geschichte etwa über den Aids-Virus sein, der sich in eine Welt vollkommener Harmonie drängt und sie endlich, nach dem Gang durch einen blitzenden Therapie-Laserstrahl, zum Verdorren bringt. Ein rätselhaftes, kompliziert konstruiertes und schmerzerfülltes Stück, das dennoch eher an der Oberfläche zu schürfen scheint. „Folk Songs“ hingegen hat das Zeug zu einem Repertoire-Dauerbrenner. Gewaltige Wolken strömen, von einem Laser wie mit einem Messer zerschnitten, in grünem Licht über die Bühne, die Körper der Tänzer werfen scharfe Schattenstreifen, während sie in Gruppen, Duos und Trios zu Luciano Berios bearbeiteten Volksliedern kleine, vorwiegend heitere Begebenheiten und Liebeleien tanzen, die in ein fulminantes Finale des ganzen Ensembles münden. Spoerlis frische Einfälle, die engagierten Tänzer und die unerhört wandelbare, jubelnde, quäkende und tirilierende Stimme der Mezzosopranistin Ursula Ferri, vom Ensemble „Opera Nova“ viril begleitet, schaffen den blendenden Schlusspunkt eines abwechslungsreichen Abends der Ballettnovitäten.

Choreografien: Heinz Spoerli; Musik: Robert Schumann, Alfred Schnittke, Steve Reich, Luciano Berio; Ausstattung: Florian Etti; Lichtgestaltung: Robertus Cremer

 

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