„Der widerspenstigen Zähmung“ in München

Diese „Zähmung“ muss noch reifen

München, 14/01/2002

Seit der Stuttgarter Ballettdirektor John Cranko von 1968 an für einige Jahre auch Chefchoreograf in München gewesen ist und während dieser Zeit übrigens nachhaltig die Karriere des jungen Heinz Bosl gefördert hat, nach dessen frühem Tod dessen damalige Partnerin und spätere Münchner Ballettdirektorin Konstanze Vernon die heute höchst renommierte Ballettakademie Heinz-Bosl-Stiftung gründete, die sie noch immer leitet, ist das Bayerische Staatsballett stets eine Art Schwestercompagnie der Stuttgarter Truppe gewesen. Selbstverständlich also, dass sie die meisten wichtigen Werke Crankos in ihrem Repertoire hat und pflegt, wie auch sein abendfüllendes „Der Widerspenstigen Zähmung“ nach William Shakespeare, das jetzt nach einer langen Pause als Neueinstudierung auf die Bühne des Nationaltheaters zurückgekehrt ist.

Die Münchner tun sich anfangs mit dieser leichtfüßigen, drastisch gewürzten Tanzgroteske reichlich schwer. Die Aufführung zerfällt praktisch in mehrere Teile, wirkt überaus angestrengt und bemüht, Corps und Solisten finden nicht zueinander, die sichersten Gags werden versiebt und die von Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti arrangierte Musik klimpert unter der Leitung des Ex-Stuttgarters Myron Romanul wirkungsarm vor sich hin. Überdies leisten sich zu viele unaufmerksame Mitglieder des Staatsorchesters störende Patzer. Erst kurz vor der Pause gewinnt Crankos letztlich unwiderstehlicher Klamaukzug an Fahrt und reißt die Truppe in einen gemeinsamen Tanzwirbel, der auch im Saal für ausgelassene Premierenstimmung sorgt.

An dem schwachen Start ist sicher auch Jürgen Roses schlecht und schattig beleuchtete Ausstattung nicht ganz unschuldig, die vor allem mit ihren farbsatten, „formellen“ Kostümen, anders als Elisabeth Daltons etwas blasse Stuttgarter, für eine gewisse Schwere sorgt. Nun ist aber auch Kirill Melnikov nicht gerade ein Bilderbuch-Petrucchio. Er ackert sich mit grober Wucht und ohne virilen Esprit durch seine Soli, im ersten Pas de deux mit der anfangs eher introvertierten Katharina Judith Turos hakeln die Übergänge, fehlt der tänzerische Fluss. Das ändert sich erst, als das Publikum mehr in Laune kommt. Das scheint das Hauptpaar zu beflügeln und sicherer zu machen.

Jedenfalls funkt es irgendwann wirklich zwischen den beiden, und ihr Spiel und ihre Duos lodern mit jenem harmonischen Feuer, das Cranko mit ihnen entfachen will. Und Turos breitet im zweiten Akt endlich die Fülle ihrer beredten Körpersprache und darstellerischen Finessen aus. So mündet diese Aufführung schließlich doch noch in einen Sturm aus Applaus und Bravorufen.

Auch die Interpreten der restlichen Hauptrollen gewinnen im Laufe des Abends an Statur, wenngleich sie offenkundig noch längst nicht alle Möglichkeiten ihrer Partien ausschöpfen. Michelle Nossiter bleibt als Bianca blass und ausdrucksarm, so sehr sie auch mit tadelloser Technik imponiert, was vor allem ihren reizenden Pas de deux mit dem noblen (mehr nicht) Lucentio Christian Ianole zugute kommt. Udo Kersten (Gremio) wirkt eher wie ein leicht derangiertes, blondes Mädchen, als wie ein verschnupfter, alter Zausel. Sein urkomisches Luftpumpenpfeife-Solo legt er allerdings mit einer wenigstens tänzerisch brillanten Leistung hin. Und Patrick Teschner verleiht seinem Hortensio einen noch nie zuvor gesehenen Jazzdance-Appeal, der neugierig darauf macht, was ihm künftig noch zu dieser Rolle einfallen wird. Valentina Divina und Irene Steinbeißer sind hingegen putzige Freudenmädchen von echtem Cranko-Kaliber.

Keine Frage, diese Münchner „Zähmung“ steht erst am Beginn einer langen Reifezeit. Von der Stuttgarter Choreologin Georgette Tsinguirides perfekt einstudiert, was zum Beispiel auch am exzellenten Pas de six im zweiten Akt erkennbar ist, wird sie von Aufführung zu Aufführung sicher mehr Tempo und dramatischen Drive gewinnen. In diesem Zusammenhang dürfte die „Masterclass“ am 30. Januar im Ballett-Probenhaus Am Platzl von besonderem Interesse sein, bei der die unvergleichliche „Original-Katharina“ Marcia Haydée mit den Solisten an deren Interpretation arbeiten will. München hat jedenfalls wieder ein Stück im Repertoire, das zu Recht Abend für Abend für ein volles Haus sorgen wird.

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