„Cinderella“ von Stijn Celis

„Cinderella“ von Stijn Celis

Tanzfutter für alle

Vergnügliche „Cinderella“ von Stijn Celis am Theater Basel

Celis, belgischer Choreograf und Bühnenbildner, hat Sergej Prokofjews Ballettklassiker über die Aschenbrödel-Geschichte psychologisch umgedeutet und mit Ironie aufgepeppt.

Basel, 17/03/2013

Zu Beginn wähnt man sich in einem Tanzstück von Mats Ek: Da ergreifen drei Frauen von der Bühne Besitz, die in Wirklichkeit drei verkleidete Männer sind. Sie tragen Sackkleider, haben ein Käppchen auf dem Kopf, ihre muskulösen Beine stecken in flachen Schuhen. Weit ausholend bewegen sie sich zwischen schiefstehendem Mobiliar und Mauerresten - die Knie leicht gerundet, die Beine breit, das Becken unelegant eingeknickt.

Wir sind aber nicht in einem Stück von Mats Ek, sondern in einer neuen Fassung von Sergej Prokofjews Ballett „Cinderella“. Stjin Celis hat es 2003 für die Grands Ballets Canadiens de Montréal kreiert, jetzt erlebte es in Basel seine Schweizerische Erstaufführung. Und wiederum drängen sich Erinnerungen an Mats Ek auf: An seine eigenwillige Interpretation von „Giselle“ – einer Meisterleistung des zeitgenössischen Balletts – oder der insgesamt zwar weniger gelungenen, aber trotzdem spannenden modernen Versionen von „Schwanensee“ oder „Dornröschen“.

Bei Stijn Celis wächst Cinderella (leicht und hübsch: Sol Bilbao Lucuix) in einer Patchwork-Familie auf, in der die eingangs beschriebene Stiefmutter und ihre beiden Töchter dominieren (überaus komisch: Adrien Boissonnet, Cédric Anselme-Mathieu, Jorge García Pérez). Sie sind rabiat und hinterlistig, verzichten auf jeden weiblichen Charme, haben dafür einen klaren Machtanspruch gegenüber dem Rest der Familie. Cinderellas sanftmütiger verwitweter Vater (Sergio Bustinduy) steht unter ihrem Pantoffel. Auch Cinderella wird unterdrückt. Sie wehrt sich dagegen, möchte erwachsen werden, die Welt der Erotik kennen lernen, ihren Prinzen finden.

Den findet sie dann auch! Allerdings ist man am Schluss nicht so sicher, ob nun alles gut wird. Denn der Prinz (Joaquin Crespo Lopes) ist ein lahmer Kerl, der beim Ball endlos mit einem Paar weißer Pumps herumirrt, bis er endlich Cinderella im roten Cocktailkleid findet, der die Schuhe passen. Und nachdem sie dann um Mitternacht verschwunden ist und er sie auf der ganzen Welt sucht, muss sie ihm beim Wiedererkennen schwer nachhelfen. Denn sie trägt jetzt ein türkisfarbenes Kleidchen; der tumbe Tor jedoch glaubt bei jeder Frau in roten Klamotten, sie sei die Gesuchte. Er verirrt sich sogar zu den maskulinen Stiefschwestern, nachdem sie in rotschillernde Gewänder geschlüpft sind (Kostüme: Catherine Voeffray).

Die eigentliche Stärke von Celis‘ „Cinderella“ liegt aber nicht bei dieser inhaltlichen Umdeutung. Sondern bei den zahlreichen guten Rollen, die das Stück bietet. Sie passen bestens zu den vielseitigen Basler Tänzerinnen und Tänzern. Dem klassischen Ballett hat der Choreograf adieu gesagt – nur die gute Fee, mit der verstorbenen Mutter identisch (Cintia Decastelli), tritt einmal in Spitzenschuhen auf. Die tote Mama gleicht ansonsten einem Hollywoodstar der Nachkriegszeit, mit ihren blonden Locken und dem massgeschneiderten Kleid. An Hollywood und das frühe amerikanische Musical gemahnen auch die Auftritte der Aschenbrödel-Tauben, die eher an Majoretten als an die Rucke-di-guh-Vögel aus Grimms Märchen erinnern.

Zeitgenössischer Tanz herrscht vor. Mit starkem Stich ins Groteske bei Stiefmutter und Stiefschwestern, mit Anleihen beim Turniertanz in den Ballszenen. Cinderella ist barfuss, auch als sie beim Ball auftaucht – wo ihr dann eben der Prinz die weissen Pumps an die zierlichen Füsse steckt. Celis choreografische Fantasie ist zwar nicht umwerfend. Doch innerhalb der von ihm selbst entworfenen, halb romantischen, halb surrealistischen Bühnenbilder finden sich die Tanzenden immer wieder zu ironisch gebrochenen, amüsanten bis mitreissenden Szenen und Tableaux zusammen.

Am Ende sei daran erinnert, dass die „Cinderella“ von Sergej Prokofjew ein noch junges Ballett ist, erst 1945 in der Choreografie von Rotislaw Sacharow am Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt – und ein Jahr später im damaligen Leningrad von Konstantin Sergejew für seine Truppe aufgegriffen. Es waren hoch klassische Inszenierungen, die über lange Zeit im Repertoire blieben. In Basel spielt das Sinfonieorchester (Leitung Thomas Peuschel) Prokofjews Musik frisch und tanzgerecht, zweimal unterbrochen durch schmalzige Hollywood-Melodien von Les Baxter in den entsprechenden Mama-Szenen.

Das Basler Premierenpublikum nahm Stijn Celis „Cinderella“ mit gewohnter Begeisterung auf. Ballett-Hausherr Richard Wherlock, der anfangs dieses Jahres einen eigenen „Eugen Onegin“ kreiert hat, kann mit dem Gastchoreografen zufrieden sein: Er bietet Tanzfutter für alle.

Premiere in Basel am 15.3.2013
 

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