TEIL 3: FEEDBACK [2ND EDITION] AM TANZQUARTIER WIEN

Festivalblog von Anna Wieczorek

Die erste Runde „Excursus“ am TAG 3 des Festivals. Die Gäste der heutigen Sitzung setzen sich aus den Performances des gestrigen Tages zusammen.

Wien, 28/04/2013

Die erste Runde „Excursus“ am TAG 3 des Festivals. Die Gäste der heutigen Sitzung setzen sich aus den Performances des gestrigen Tages zusammen, also zuerst Stefanie Wilhelm und das Duo Luke Baio/Dominik Grünbühel moderiert von Kerstin Evert und in einer zweiten Runde das Team von MASH UP im Gespräch mit Silvia Fanti und Florian Malzacher. Auch wenn die Diskussion zunächst wie ein normales Publikumsgespräch beginnt, in dem die Künstler ihre Intentionen und Motivationen darlegen, gelingt es den Moderatoren durch geschickte Gesprächslenkung dieses (teilweise) auch auf allgemeinere Fragen der Tanz- und Performancekunst zu lenken.

In der ersten Gesprächsrunde geht es um Illusion und Wahrnehmung innerhalb der Theatermaschinerie und inwiefern „Trust“ mit diesen Mechanismen zusammenhängt. Stefanie Wilhelm erzählt, dass sie viel darüber nachdenkt, wie sie das Publikum möglichst gut auf die Dunkelheit vorbereiten kann und dass die Ansage, die sie macht, manchmal gerade erst zur Unsicherheit beim Publikum führe. Auch Luke Baio und Dominik Grünbühel ist die Sicherheit ihres Publikums ein wichtiges Thema. Zum Schluss schlägt Stefanie Wilhelm vor, sie sollten doch gemeinsam mal eine Produktion machen – ein sinniger Übergang, denn als nächstes sitzt ja das kollaborative Team von MASH UP auf dem Podium.

Im Gespräch mit Florian Malzacher wird bald klar, dass die Performer selber nicht so recht zufrieden scheinen mit dem Ergebnis ihres Experiments. Also ja, heißt es, es war schon interessant, aber auf die Nachfrage, ob sie MASH UP wiederholen und dann in ihr Werke-Repertoire aufnehmen würden, ist das den einzelnen Performern definitiv zu viel geteilte Autorschaft. Das führt zu der Frage: Wo liegt das Limit von Kollaboration? Wie weit würden Künstler gehen für eine gemeinsame Choreografie? Und wo liegen die Grenzen eines Werkes als Werk? Rauschmeier, der selber aus der bildenden Kunst kommt, hat einen anderen Blick und Werkbegriff als die Tänzer und Choreografen, die er für sein Stück auswählte. Das zeigt sich in dem Gespräch und wird neben anderen spannenden Aspekten Teil dieser Diskussion. Soweit so gut.

Nach einer kurzen Kaffee- und Erdbeer-Kuchen-Pause folgt die erste Performance des Abends: „Golden Baby“ von der Choreografin Elisabeth B. Tambwe. Die Performerin Adriana Cubides wälzt sich zu Beginn in einem Knäuel aus Strumpfhosen-Gebilden, die durch Form und Anordnung an einen riesigen Leichenberg erinnern. Nach einer eingeschobenen Choreografie, in der sie ihren eigenen Körper nach äußerlichen Schönheitsidealen befragt, die sie wiederum körperlich zu verinnerlichen versucht, besteht der Großteil dieser Performance aus dem Aufbau einer gigantischen Rauminstallation. Mithilfe verschiedener Seilzüge, an denen sie ihre Strumpfhosengebilde aufhängt, verwandelt Adriana Cubides den Bühnenraum in ein gewaltiges Leichenkabinett. Leider zieht sich der Akt wegen technischer Probleme etwas in die Länge und auch wenn der Aufbau dieser Installation gerade durch den Kampf der zierlichen Person mit den schweren „Leichenteilen“ eine ganz eigene Art von Choreografie produziert, ist es doch mühsam konzentriert zu folgen, zumal die zeitliche Verzögerung den Festivalplan etwas in die Enge treibt. Statt also der Aufforderung von Cubides zu folgen und den Raum am Ende durch die eigene Begehung nochmal auf sich wirken zu lassen, geht’s schnell weiter zum nächsten Programmpunkt.

„Your Majesties“ von Alex Deutinger und Marta Navaradis nimmt die „Nobel Lecture“ des US-Präsidenten Barack Obama, die er am 9. Oktober 2009 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo hielt, als Ausgangspunkt ihrer klugen und unterhaltenden Choreografie. Mit der Selbstsicherheit und dem Stolz, den man von den öffentlichen Auftritten wichtiger Politiker gewohnt ist, präsentiert sich Alex Deutinger zu Beginn der Performance dem Publikum als souveränes und lässiges Alter Ego von Obama und beginnt mit seiner Rede. Zunächst scheint seine Gestik dem Redefluss noch angemessen, auch wenn sie immer ein Bisschen zu gesetzt, einen kurzen Moment zu verzögert erscheint. Mitten in der Performance fällt mir auf, wie dieser Effekt hervorgerufen wird: Auf einem zweiten Podest hinter den Zuschauen macht die Performerin Marta Navaradis die Bewegungen vor, die „Obama“ nachahmt, während sein Redefluss von diesen Störungen (fast) nicht ins Stocken gerät. Statt einer großen Videoleinwand, auf der die Rede Wort für Wort eingeblendet wird, gibt es also hier ein körperliches „Vorsagen“. Der Effekt ist erstaunlich – nicht nur dass die abweichende und teils willkürlich wirkende Gestik die Ernsthaftigkeit des Textes immer wieder unterläuft – in einigen Momenten erscheinen die Gesten auf einmal nicht mehr recht zu ihrer Bedeutung zu passen und verlieren dadurch insgesamt ihre Zeichenhaftigkeit, die sie ja eigentlich konstituiert. Ein spannender Abend nicht nur als Studie über die explizit politische, sondern auch über die Geste „an sich“, die zurzeit auch als ein neuer Trend in der Tanzwissenschaft erscheint. Noch dazu ist es äußerst witzig, wenn Obamas Alter Ego über ernsthafte Dinge wie Krieg, Leid und Frieden spricht und dabei Yogaübungen praktiziert, ohne allerdings den Ernst seiner Worte im Sprachduktus zu verlieren. Ob der „echte“ Obama selbst wohl Morgensport treibt?

Auch nach dieser Performance bleibt sehr wenig Zeit geschweige denn genug, um eine Essenspause einzulegen. Dann also wieder ein Sandwich vom Stand nebenan und ab in den Shuttle-Bus. Die nächste Veranstaltung findet nämlich nicht auf dem Gelände des Museumsquartiers statt, sondern in der ehemaligen Zollkantine, die etwa eine viertel Stunde stadtauswärts liegt. Das Theaterkollektiv theatercombinat in der Regie von Claudia Bosse hat sich dort schon seit einiger Zeit eingemietet. „Designed Desires“ heißt deren neueste Produktion, eine Choreografie für „ein Ensemble von Körpern zwischen 25 und 76 über Begehren und Gemeinschaften, Pornografie und politische Theorien“, so der Ankündigungstext. Das ist eine Agenda großer Themengebiete, die Claudia Bosse in ihrer drei-stündigen Performance mit einem Ensemble aus Performern und semiprofessionellen Performern auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Zollkantine zu ergründen versucht.

Gleich zu Beginn, nachdem das Ensemble die Zuschauer über einen Außenaufgang in das 70er-Jahre-Gebäude geleitet hat, wird das Publikum in verschiedene Gruppen separiert. Dabei prüft der/die jeweilige PerformerIn mit einem langen Blick, wer für ihre/seine eigene intime Gesprächsrunde geeignet erscheint. Ich werde gemeinsam mit vier anderen Zuschauern in einen der vielen kleinen Räume des Gebäudekomplexes geführt, wo wir von einer jungen Performerin über ihre persönlichen Erlebnisse in der Pornoindustrie aus früher Jugend aufgeklärt werden. Schon hier wird der Zuschauer damit konfrontiert, ob und inwieweit diese biografischen Erlebnisse konstruiert oder tatsächlich erlebt sind, Leitfragen, die im Laufe des Abends häufiger auftauchen werden. In den einzelnen Räumen, die man von nun an selbstgewählt erkundet, begegnen einem immer wieder Menschen, die denjenigen, die gerade zuhören, ihre Geschichte(n) erzählen – Geschichten, die beständig mit dem eigenen Körper, mit den Spuren, die das jeweilige prägende Ereignis im Körpergedächtnis bis heute hinterlassen hat, verwoben werden. Der Körper wird zur Landschaft von biografischen Erlebnissen. Abwechselnd dazu stößt man auf Menschen in eindeutig sexuell konnotierten Haltungen, die den Kontext auf den Körper als eine beschriebene Oberfläche im ökonomisierten Blick der heutigen Gesellschaft erweitern. Zwischendurch gibt es Momente, wo alle Performer zusammenkommen und beispielsweise in einem klinisch weißen Raum auf dort aufgebauten Podesten ihre Nacktheit zur Schau stellen und fremdgesteuerte sexuelle Kopulation(en) in einer gemeinsamen Choreografie zelebrieren.

Die offene Struktur ermöglicht jedem Zuschauer seine persönliche Narration des Abends zusammenzubauen. Dabei ertappt man sich selbst wie irritierend es (immer noch) ist, in einem solchen Performancekontext nackte Körper zu sehen, die durch Alter und Lebensspuren nicht den sogenannten Schönheitsidealen unserer Gesellschaft entsprechen – wie man auf die hängenden Brüste und gezeichneten Körper starrt - um am Ende doch lieber den „schönen“, jungen Körpern durch die verschiedene Räume des weitläufigen Gebäudes zu folgen. An der dadurch angestoßene Reflektion über die eigene Denk- und Handlungsfreiheit, die Mechanismen, die durch konnotierte Muster gesellschaftlicher Normen die Selbstbestimmtheit des Subjekts bröckeln lässt, kann jeder seine eigenen „Designed Desires“ ablesen.

Für diese Anstöße hat sich das Ausharren gelohnt, auch wenn die drei Stunden der Performance nach dem heutigen Festivaltag schwer durchzuhalten waren. Am Ende gibt sich die Gemeinschaft, die diesen Marathon durchschritten hat, in gemeinsamer erschöpfter Einigkeit einem kleinem Buffet und dem Austausch der ausgelösten Eindrücke hin.
 

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