„Yo Gee Ti“ von Mourad Merzouki
„Yo Gee Ti“ von Mourad Merzouki

Verquickung von Kulturen und Zeiten

Deutschlandpremiere von „Yo Gee Ti“ von Mourad Merzouki und der Compagnie Käfig (Frankreich) mit Tänzern aus Taiwan

Das erste Gastspiel der diesjährigen Maifestpiele in Wiesbaden war ein Tanzabend und der fiel nicht zufällig auf den 29. April.

Wiesbaden, 30/04/2013

Das erste Gastspiel der diesjährigen Maifestpiele in Wiesbaden war ein Tanzabend und der fiel nicht zufällig auf den 29. April. Dieser Tag wurde 1982 zum Internationalen Tag des Tanzes ausgerufen, vom Komitée des Internationalen Theater Instituts (TIT) in Paris, zu dessen Mitgliedern in den vergangenen Jahren der Wiesbadener Intendant Manfred Beilharz gehörte. Eine Persönlichkeit des Tanzes wird gebeten, so erklärte er, eine Tanzbotschaft zu verkünden. Das war in diesem Jahr Lin Hwai-Min vom Cloud Gate Dance Theatre Taiwan. Die Zen-mäßig visualisierte Videobotschaft erhielt unfreiwillige Komik, da sie auf den historischen, figürlich gestalteten Theatervorhang projiziert wurde. Die Ewigkeitsspirale im Sand war zugleich mit dem als Hund verkleideten Jäger zu sehen. Vielleicht gewollt? Als Beispiel für die Verquickung von Kulturen und Zeiten?

Denn auch das Tanzstück dieses Abends hat sich der kulturellen Grenzüberschreitung verschrieben. Es ist quasi die choreografische Grundhaltung von Mourad Merzouki. Für ihn ist der Körper das probate Ausdrucksmittel, hat der 1974 in Lyon Geborene doch bereits als Siebenjähriger damit begonnen Kampfsport, Boxen und Zirkusartistik zu erlernen, bevor er mit 15 zum Hip-Hop-Streetdance kam. 1996 gründete er die Compagnie Käfig – wobei Käfig im Arabischen und Deutschen das gleiche bedeutet. Insgesamt hat er mit Käfig bereits 17 Stücke kreiert, in denen er immer verschiedene Tanzstile zusammen brachte. Merzouki ist damit außerordentlich erfolgreich, zumindest im französischen Raum. Er wurde nicht nur Leiter des Centre chorégraphique national in Créteil (bei Paris), sondern erhielt auch 2012 den Orden der Ehrenlegion. In Deutschland war er erstmalig 2010 zu erleben, auch bei den Wiesbadener Maifestspielen.

Das jetzt gezeigte Tanzstück „Yo Gee Ti“ wurde im Sommer 2012 bei den Tanzfestivals von Montpellier und Lyon als Sensation gefeiert. Erarbeitet hat Merzouki es in Taipeh mit fünf französischen und fünf taiwanesischen Tänzern. Auch das ungewöhnliche Bühnendekor und die Kostüme stammen von einem Taiwanesen, von dem Designer Johan Ku: er arbeitet mit Wolle, die im Stück als bewegliche Fadenvorhänge, zusammen mit raffinierter Lichtführung, den Raum gestalten und als amorphe Hüllen die Körper der Tanzenden verändern, so als ob sich Felsen bewegen könnten.

Die eigens komponierte Musik (vom Band zu hören) ist von Geigen und Celli geprägt, die melodiös verträumt erklingen oder treiben, vor allem im Pizzicato den Rhythmus der Körper bestimmen. Am Ende ertönt Weltmusik mit Percussion und Piano und arabischer Oud lädt zum Sufi-Drehtanz.

„Yo Gee Ti“ ist Chinesisch und bedeutet „organischer Gegenstand“. Gemeint ist der menschliche Körper, der in diesem Tanzstück häufiger wie bewegte Materie wirkt als dass er kopfgesteuert bewegt würde. Alles ist im organischen Fluss, alles ist Harmonie, wir sind eins mit dem Kosmos. Das scheint die Botschaft zu sein, die mit geradezu hypnotisierenden und überraschend schönen Bildern über die Rampe kommt. Und obwohl die fünf Franzosen immer wieder ihre verfeinerte Hip-Hop-Tanzkunst präsentieren können, ist der Gesamteindruck doch von einer inneren, der Meditation nahen Haltung geprägt. Da ist nichts ruppig Aggressives mehr, auch in den Szenen nicht, die noch an Straßenwettbewerbe gemäß dem Motto „Wer kann die schwierigste Figur?“ erinnern.

Körpersprache hat da besondere Bedeutung, wo Sprache unmöglich wird. Die kulturellen Unterschiede im Tanz aufzuspüren und zu einer neuen organischen Form zu bringen, das fasziniert Merzouki offensichtlich. Und es gelingt ihm, daraus ein Gesamtkunstwerk zu machen, das zugleich vertraut und neu wirkt, in dem alle Anteile des Bühnengeschehens gleichwertig behandelt werden. Als ob es schon immer so gewesen sei, wie das Eintauchen in eine ursprüngliche und zauberische Welt. Erst bei der Zugabe demonstrieren die sieben Männer und drei Frauen noch einmal einzeln ihr Können. Alle dürfen mitklatschen und anfeuern. Welcome back in our world.

Es gibt noch weitere Tanzbeiträge: Maifestspiele 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern