Der Körper ertanzt sich die Heimat
Aufeinandertreffen der Akram Khan Company mit dem Chinesischen Nationalballett
„In einer Welt, die zunehmend von Wegwerfdingen beherrscht wird, in der Ästhetik von Trends diktiert wird und Qualität die Lebensdauer von Eintagsfliegen einnimmt, wollte ich zu meiner Herkunft zurückkehren, um etwas zu finden und zu kreieren, das eine Erfahrung von dauerhafterem Wert schaffen könnte.“, so der Choreograf selbst über sein Solo „Desh“, dass neben der Sacre-Bearbeitung ITMOI (in the Mind of Igor) und einer Buchpräsentation der Reihe body:language zum Programm des diesjährigen ImpulsTanz-Festivals gehört. Akram Khan, ein „Wanderer zwischen Großbritannien und Bangladesh“ (Programmheft), gehört, neben Sidi Larbi Cherkaoui, zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Choreografen, die ihre interkulturellen Wurzeln zum wichtigsten Bezugspunkt ihrer Arbeiten erheben.
„Desh“ ist das erste Solo, das Khan gemacht hat und, wie man überall nachlesen kann, sein persönlichstes Werk. Persönlich deswegen, weil Khan autobiographische Elemente einwebt, um so seinen eigenen Wurzeln, seiner (verlorenen) Heimat, nachspüren zu können. Khans Motivation für diesen Abend, die in der anfangs zitierten Aussage des Künstlers anklingt, lässt viel vermuten, bereitet aber nicht auf die multimediale Disney-Bilderschau vor, die schließlich die Ästhetik dieses „Heimat-Abends“ bestimmt. Die eigentlich spannende Frage, die Khan umtreibt, und die dieser auch im Gespräch mit seinem Dramaturgen Guy Cools äußert, nämlich die Suche nach einer interkulturell funktionierenden body:language, geht in dem berauschenden Bilderstrudel von Animationsfilmchen und Bühnenbildelementen unter. Die trendige Ästhetik, die Khan selbst kritisiert, bestimmt größtenteils seine eigene, er hüpft von einem theatralen Element zum nächsten, erzählt persönliche Geschichtchen und scheint darüber seinen eigenen Körper zu vergessen, der in den metaphorisch viel zu klaren, viel zu kitschigen Bildern untergeht. Dabei ist die Körpersprache des populären Choreografen ein wirklich spannender Ausgangspunkt, denn seine body:language speist sich aus zwei sehr verschiedenen Tanztechniken - dem indischen Kathak-Tanz und der zeitgenössischen Technik - eine kontrastreiche Mischung, die aber außer in einem kurzen Anfangssolo kaum sichtbar wird.
Lässt sich nur hoffen, dass Akram Khan, wie er es bei seinem Talk über body:language mit Guy Cools verspricht, in seinen nächsten Arbeiten wieder zum Körper zurückkehren wird. body:language ist der Titel einer Reihe von Gesprächen, die von dem Kurator, Autor und Dramaturgen Guy Cools initiiert und vom London Dance House Sadler’s Wells in Form von kleinen Heften herausgeben wird. Im Dialog mit populären Künstlern der zeitgenössischen Performanceszene wie Alain Platel, Tim Etchells und Akram Khan spürt Cools der spezifischen Körpersprache in den jeweiligen Arbeitsweisen nach. Das Gespräch mit Akram Khan, angekündigt als Präsentation eben dieser Reihe, entpuppt sich dann aber eher als eine Art Nachgespräch zu „Desh“ beziehungsweise Einführung für „Itmoi“, das an die Veranstaltung anschließt. Akram Khan gibt Einblicke in den Entstehungsprozess beider Arbeiten - er berichtet, wie er gemeinsam mit seinem Team nach Bangladesh reist, um dort Eindrücke, Bilder und Atmosphären für sein Solo einzufangen, oder wie er die drei unterschiedlichen Komponisten, die er für die Musik der Sacre-Bearbeitung beauftragt hat, gegeneinander ausspielt, damit keiner von den Kompositionen des jeweilig anderen beeinflusst werden kann.
„Itmoi“ funktioniert ebenso wie „Desh“ über die Spektakularität von visuellen Eindrücken. Aber immerhin behält „Itmoi“ dabei eine einheitliche Ästhetik, die zwar von verschiedenen Filmen inspiriert ist, für den Transport dieser auf die Bühne aber keine multimedialen Mittel benötigt. Stattdessen erschließt sich „Itmoi“ ganz über die variationsreiche, atmosphärische Komposition, sowie das düstere Bühnenbild und erzählt, das allerdings dann wieder sehr linear, den großen Topos der Tanzgeschichte, in einer surrealistischen Bilderwelt.
Der jubelnde Applaus und die Standing Ovations nach beiden Aufführungen geben Akram Khan recht – das Publikum ist auf seiner Seite. Weiterführend wirft dieser Erfolg jedoch Fragen auf, die Khans Bilderwelten nicht beantworten können: Woher kommt das akute Interesse nach klar gebauten Narrativen, nach großen mythischen Erzählungen - leicht nachvollziehbar durch eine zugängliche Bildersprache? Muss die visuelle Komplexität des Alltags durch Linearität in der Erzählung aufgewogen werden? Woher kommt die Sehnsucht nach großen Geschichten? Woher die nach den großen Bildern?
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