„Impromptu“ von Tindaro Silvano

„Impromptu“ von Tindaro Silvano

Drei Brasilianer in Hagen

Ricardo Fernandos „Terra Brasilis“ begeistert am Theater Hagen

Heben und Hechten - bis die Männer genug haben und die vertikal gehaltenen Frauen einfach auf den Boden plumpsen lassen. Licht aus nach fetzig-frechem Spiel in farbenfrohem Ambiente!

Hagen, 09/02/2014

Vor Jahren waren Tänzer aus dem Land der Copacabana auf deutschen Bühnen so zahlreich und begehrt wie die brasilianischen Ballzauberer auf unseren Fußballplätzen. Längst hat Fernost hier wie dort Lateinamerika verdrängt. Jetzt aber lässt Ricardo Fernando mit seiner temperamentvollen Truppe zu Bossa Nova, Habanera und Samba tanzen. Der Premierenapplaus wollte gar kein Ende nehmen im Hagener Theater.

Ricardo Fernando lud drei hochkarätige Choreografen aus seinem Heimatland Brasilien ein. Zwar orientieren sich Altmeister Tindaro Silvano, Weltstar Henrique Rodovalho und der experimentierfreudige Luiz Fernando Bongiovanni deutlich an zeitgenössischen europäischen Tanztechniken, durchsetzt von aufreizenden Bauch- und Hüftschwüngen. Aber die charakteristische Mischung aus Traditionen der Indios, Portugiesen und Afrikaner ist vor allem deutlich spürbar in den Habanera- und Samba-Rhythmen, die mit Flöten, Rasseln, Reibinstrumenten, Gitarren und Trommeln sehr authentisch klingen.

Einen unterhaltsamen, bunt beschwingten Auftakt bietet Tindaro Silvanos „Impromptu“ mit der rassig jazzigen Musik von Egberto Gismonti, der funkelnde Anleihen bei seinem Landsmann Heitor Villa-Lobos und dem argentinischen Tango-König Piazzolla nimmt. Menschen hasten hin und her, schlittern diagonal, verharren - finden Partner zum Kuscheln en passant. Heben und Hechten - bis die Männer genug haben und die horizontal gehaltenen Frauen einfach auf den Boden plumpsen lassen. Licht aus nach fetzig-frechem Spiel in farbenfrohem Ambiente!

In der Uraufführung von Rodovalhos „Ausschnitte“ verströmen Bossa Nova-Gesänge von Paula Morelenbaum eine Sinnlichkeit wie sie nur der Tango Argentino erreicht. Das neue Stück des Chefs der „Quasar Cia de Danca“ in Rio, den Pina Bausch 1997 erstmals nach Deutschland einlud, könnte zum Pendant von Hans van Manens „Fünf Tangos“ werden: knisternde Erotik und Sinnlichkeit, gepaart mit höchster technischer Präzision und Eleganz. Weich fließend die Bewegungen, raffiniert kokett die langen hochgeschlossenen Strickjacken der Damen mit einem großzügigen asymmetrischen Ausschnitt von der Taille abwärts, die den Bauchnabel frei lassen (Kostüme: Rosa Ana Chanzá). Höhepunkt ist ein atemberaubendes Duett, bei der Premiere grandios getanzt von Brendon Feeney und Ana Rocha Nené. Dicht umschlängeln sich die Dame und der Herr - Annäherung folgt auf Ablehnung. So schön kennt man Liebeswerben sonst nur aus dem Tierreich. Gala-Stoff!

Ureinwohnern Brasiliens, den Tupí, erweist Luiz Fernando Bongiovanni mit seiner Choreografie „Tupí or not Tupí - that is the Question“ Reverenz. Der Titel ist natürlich das augenzwinkernd verfremdete Zitat des Hamlet- Monologs „Sein oder Nichtsein“. Im Ballettsaal bedeutet das: was die Schule lehrt oder ein Choreograf sich ausdenkt, passt oft noch lange nicht zu Körper oder Emotion der ausführenden Tänzer. Zunächst üben sie in einem leeren Bilderrahmen brav Schritte und Posen, zählen zur Taktung des Metronoms - bis eine (Melanie Lopez Lopez) ausflippt und die ganze dumme Zählerei ad absurdum führt. Wie befreit macht nun jeder sein eigenes Ding unter Blümchentapeten bespannten Bilderrahmen in unterschiedlichsten Größen und Mustern, die vom Schnürboden tropfen. Im Finale geht's übermütig zu wie beim Karneval an der Copacabana von Rio. Was für eine fröhliche „Tanzstunde“!
 

Kommentare

Noch keine Beiträge