Bewegter Abendfüller

„A History of Dance on Screen“ versammelt beeindruckende Bilder der Tanzgeschichte

Immer wieder von Neuem beginnt der Filmemacher Reiner E. Moritz zu erzählen und gibt den Blick frei auf eine wechselvolle und vielschichtige Historie des 20. Jahrhunderts.

München, 22/04/2014

Ein Film läuft an. Knisternd setzen sich die Bilder in Bewegung, flimmern vor den Augen der Zuschauer. Zwischen Baumstämmen erscheint eine Frau. In eine Tunika gehüllt, verneigt sie sich, in sanften Wellen heben sich ihre Arme. Es ist keine Geringere als die tanzende Isadora Duncan, die vor 100 Jahren mit ihren Auftritten den Tanz revolutionierte.

Doch das ist nur eine der unzähligen Tanzgeschichten, die sich in Reiner E. Moritz' Dokumentation „A History of Dance on Screen“ erleben lassen. Immer wieder von Neuem beginnt der Filmemacher zu erzählen und gibt den Blick frei auf eine wechselvolle und vielschichtige Historie des 20. Jahrhunderts. Ein Ereignis folgt auf das andere, wird weitergesponnen in die jüngere Vergangenheit. Referenzen, die durch Kommentare jetziger Größen der Tanzwelt wie John Neumeier, Mitgliedern der Ballet Boyz, Alvin Ailey oder Brigitte Lefèvre eingeführt werden, entwickeln sich zu einem dichten Netz aus Assoziationen.

Und wer hat das nicht – den einen Lieblingsmoment aus einem Ballett wie der Schattenakt von „La Bayadère“ oder die Steptanz-Szene aus einem der „Ginger Rogers und Fred Astaire“-Filme. Kindheitserinnerungen werden wach, man denkt zurück an den Augenblick, in dem der Tanz so faszinierte, dass man beschloss, Tänzer zu werden. Oder zumindest etwas, was damit zu tun haben könnte.

Aber nicht nur die persönlichen Momente spielen in dem Film, der anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von „Dance Screen“ entstand, eine Rolle, sondern vor allem auch die Querverbindungen zwischen den Choreografien. Beginnt der Film ganz achronologisch mit Sasha Waltz' „Sacre“, der letztes Jahr in Paris uraufgeführt wurde, so wendet man sich gleich darauf den Versionen von Nijinsky, Béjart und natürlich Pina Bausch zu. Von da aus gibt’s einen kurzen Rückblick auf das russische Balletterbe Petipas, um sich über erste Tanzaufnahmen von 1896 – es waren die „Serpentine Dances“ gefilmt von den Brüdern Lumière“, die im Nachhinein ihre Filme bunt einfärbten, um die wirbelnden Stoffbahnen zu betonen – zu „Red Shoes“, einem der einflussreichsten Tanzfilme überhaupt, vorzuarbeiten und sich kurz mit Video-Dance aus den 80er und 90er Jahren zu befassen.

„A History of Dance on Screen“ springt von Ort zu Ort. Mal ist die Pariser Oper im Bild, dann das ehemalige Haus Anna Pawlowas in England, in dem heute noch Kinder und Jugendliche ihr Balletttraining absolvieren, und in dessen Garten die unzähligen Schwanenstatuen von ihrem durch Fokine auf den Leib choreografierten „Sterbenden Schwan“ zeugen. Jenes Solo hatte übrigens Frédérick Ashton in Südamerika gesehen. Fasziniert von ihrem Tanz, nahm er kurzerhand Unterricht bei Massine und Rambert. Was darauf folgte, weiß man. Und so geht es über den britischen Choreografen zu den „Five Brahms Waltzes“ als choreografierte Hommage an Isadora Duncan hin zu den Tanzfilmen der 40er und 50er Jahre.

Allen voran führt Bob Lockyer, ehemaliger Tanzproduzent bei BBC und Gründer von „Dance UK“, durch den Film. Er war es, der in Großbritannien den Tanz ins britische Fernsehen brachte, Tanz und Video einander annäherte. Mit großem Erfahrungs- und Wissensschatz weist er den Zuschauern den Weg durch die bewegten und bewegenden Bilder eines Jahrhunderts Tanzgeschichte. Die visuellen Dokumente machen aufmerksam auf sich verändernde Körperbilder – von der heute als pummelig geltenden Ballerina Tamara Karsawina bis hin zu den körperlich Behinderten der Candoco Dance Company – und auf eine voranschreitende Technik, die es möglich macht, Tanz in verschiedenen Räumen, Positionen und Perspektiven zu zeigen.

Ein anspruchsvoller Film, der es schafft, die parallel laufenden Geschichten des Tanzes, seine vielfältigen Strömungen und Referenzen miteinander zu verbinden und so zum spannenden Abendfüller wird, in dessen Netz aus Erinnerungen, einzigartigem Videomaterial und Informationen man sich gerne fallen lässt.

 

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