„Der Schrank der Georgi“ von David Marlow

„Der Schrank der Georgi“ von David Marlow

Tanzgeschichte für alle

Hommage an Yvonne Georgi vom Ballett Hagen

Eine weite Anreise nach Hagen wert ist dieser beeindruckende Abend nicht nur für Tanzhistoriker, um Yvonne Georgis „Glück, Tod und Traum“ zur Musik von Gottfried von Einem als veritable Rekonstruktion zu erleben.

Hagen, 18/05/2014

Im Rahmen des „Tanzfonds Erbe“ von der Bundesregierung finanziell unterstützt, entstand die aufwändige, großartig getanzte Hagener Produktion „Der Schrank der Georgi“ als Gesamtkunstwerk aus Tanz, Rezitation, Filmausschnitten, Videoprojektionen und einem respektgebietenden Musikprogramm - vorzüglich einstudiert von David Marlow mit dem Philharmonischen Orchester Hagen, dessen Bläser bei der Premiere allerdings noch nicht ganz firm wirkten.

Den kostbaren Kleiderschrank der Georgi mit den dramatisch geschwungenen Türen und voller Erinnerungsstücke ihrer internationalen Karriere gab es tatsächlich in der Wohnung der Wigman-Schülerin, die vor allem durch die jahrelange Partnerschaft mit Harald Kreutzberg und als Ballettmeisterin und Choreografin insbesondere in Hannover berühmt wurde. Nicht verwunderlich also, dass es zahlreiche Duette zu sehen gibt. Dabei beeindrucken ganz besonders Melanie Lopez Lopez (Yvonne Georgi) und Brendon Feeney (Harald Kreutzberg).

Spätestens bei der schmissigen Serie von Duetten im Tango- und Sambarhythmus auf Darius Milhauds Tanzsuite „Saudades do Brazil“, die gar nicht so wehmütig klingt, wie der Titel impliziert, hatte der brasilianische Ballettchef Ricardo Fernando alle Zuschauer auf seiner Seite: über Rios Copacabana, dem Zuckerhut und der weltberühmten „Cristo Redentor“-Statue schwebt ein schwarz-gelber Luftballon voller Fußbälle.

Charmante Details wie diese kleine Videomontage geben der „Tänzerischen Recherche“ von Dramaturgin Maria Hilchenbach und Fernando den nötigen Pepp. So meistern sie den heiklen Balanceakt zwischen einer Dokumentation des Lebens der deutschen Ausdruckstanzlegende Yvonne Georgi (1903-75) und der Wiederbelebung ihres tänzerischen und choreografischen Werks. Mühelos wird Fernando Georgis eigenem Anspruch gerecht, eine Synthese des Gestern und Heute zu finden.

Eine liebevoll arrangierte Foyer-Ausstellung mit Requisiten, Kostümen, Programmheften, Porträts und kleinstformatigen Szenenfotos aus dem Theatermuseum Hannover zeigen einige Preziosen aus Georgis Schrank. Die Schau ergänzt die Aufführung, lässt aber auch erahnen, wie aussichtslos eine annähernd authentische Rekonstruktion ist, wenn zum Beispiel kaum mehr als Serien kleinster schwarz-weißer Schnappschüsse von Aufführungen zur Verfügung stehen. Fernando fängt solche Unzulänglichkeiten geradezu schlitzohrig genial ab, in dem er sich von Georgis choreografischen Ideen zu eigener Interpretation inspirieren lässt, vor allem bei Georgis „Sacre du Printemps“, dessen einstudierter 1. Teil den Beginn des Frühlings mit handfesten Geschlechterkämpfen auf der grünen Wiese zelebriert. Immer wieder ringen die sieben Frauen mit den sieben Männern, demonstrieren die einen Willensstärke und die anderen physische Kraft.

Die Puppentheaterszenen aus „Petruschka“ mit der zauberhaften Porzellanpuppen-Ballerina (Eunji Yang) und den Rivalen Mohr (Bobby Briscoe) und Petruschka (Shinsaku Hashiguchi) sind Fokines originaler Choreografie von 1911 deutlich nachempfunden. Besonders apart ist die Gegenüberstellung von Camille Saint-Saens' „Sterbendem Schwan“ in Georgis Choreografie für einen barbrüstigen Mann im langen weißen Federrock (grandios: Huy Tien Tran) und Fokines Pawlowa-Version, die die elegante Japanerin Yoko Furihata wunderbar elegisch präsentiert.

Wie neugierig Georgi auf Neues war und ohne Berührungsängste mit zeitgenössischer Musik und Bühnentechnik experimentierte, überrascht vor allem im elektronischen Ballett „Evolutionen“ auf Musik von Henk Badings, bei dem die Tänzer mit bunten Neonleuchtstäben kostümiert sind - was für ein Spaß!

Eine weite Anreise nach Hagen wert ist dieser beeindruckende Abend aber vor allem (nicht nur für Tanzhistoriker), um Georgis „Glück, Tod und Traum“ auf die Musik von Gottfried von Einem als veritable Rekonstruktion zu erleben. Dank einer privaten Spende stand ein Mitschnitt von den Wiener Festwochen 1961 zur Verfügung. Unübersehbar ist die Prägung durch Kurt Jooss, bei dem Georgi und Kreutzberg in Münster ihre Karrieren begannen. Ganz die Aura des Todes im „Grünen Tisch“ verströmt der „Schreiber“, den der fantastisch wandlungsfähige Bobby Briscoe tanzt. Das pure Glück stellen Hayley Macri und Huy Tien Tran dar, den Tod Tiana Lara Hogan und Péter Matkaicsek und traumhaft schön schließlich Yoko Furihata und Brendon Feeney den „Traum“. Bei diesem „Tanzfonds Erbe“-Projekt gehen Rekonstruktion und „aktuelle Neufassung“ Hand in Hand - alle Achtung vor dieser Leistung des kleinen Theater Hagen!
 

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