Mächtig, gewaltig, zerbrechlich und zart

„Josephs Legende“ von Stijn Celis und „Tanzsuite“ von Alexei Ratmansky

„Hommage an Richard Strauss“ - ein Abend der Gegensätze für das Semperoper Ballett

Dresden, 30/06/2014

„Ein Tanzpoem, in dem es heiß hergeht und das trotzdem kalt läßt.“ So der Musikwissenschaftler und Strauss-Biograf Ernst Krause über „Josephs Legende“, einem Ballett von Richard Strauss mit dem Libretto von Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal. Uraufgeführt am 14. Mai 1914 in Paris durch die berühmten Ballet Russes mit Strauss am Pult. Michail Fokine ist der Choreograf, eigentlich für das Tanzwunder Waslaw Nijinsky als Joseph geschaffen, aber nach dem Zerwürfnis mit Diaghilev wird Léonide Massine den Hirtenknaben tanzen. Ein letzter großer Erfolg für ein europäisches Kunstereignis in Paris, denn im Juli bricht der erste Weltkrieg aus.

Bis heute tut man sich schwer mit dieser getanzten Legende um Joseph den Träumer, verkauft von seinen eifersüchtigen Brüdern für 20 Silberstücke, den schönen Sklaven, der in Ägypten am Hofe des Pharao Karriere macht bis die Frau des Kämmerers Potiphar ihn vergeblich versucht zu verführen. Der fast zum Mann gereifte Joseph als Objekt ihrer Begierde widersteht, was sie nicht verträgt und ihn der erotischen Attacke beschuldigt.

Im Kerker beginnt Josephs unaufhaltsamer Aufstieg, der Träumer wird zum Traumdeuter und zum wirtschaftspolitischen Visionär, aber das interessierte weder Strauss noch Hofmannsthal nach Graf Kessler, Thomas Mann wird zwischen 1933 und 1943 tiefer in den Brunnen der Vergangenheit blicken, uns lachen und weinen lassen, mit dieser schönen Geschichte und Gotteserfindung von Joseph und seinen Brüdern.

Jetzt also die getanzte Episode aus der Josephsgeschichte, die auch noch in der nicht ganz korrekten Schreibeweise des damals ohnehin leicht zerstrittenen Autorenteams zu „Josephs Legende“ wurde.

Keine leichte Aufgabe für den Choreografen Stijn Celis, der in Dresden schon bekannt ist. Von Jens Sethzman komm die Bühne, die immer wieder geteilt wird durch herab- und herauffahrende Wände, auf denen es dann auch schon mal flimmern kann, als gäbe es einen Filmriss.

Wir befinden uns, so das Programmheft, in „Atmosphären unter dem Horizont der Macht.“ Aha. Das gibt Auftrittsmöglichkeiten für die Boxer in entsprechenden Shorts, Sockenhaltern, Jacketts, leicht ramponierten Hemdkragen und blutig geboxten Händen. Frauen mit Kopfschmuck wie dressierte Pferde in der Manege oder in einer Spaßshow mit Gagaallüren. Dazu immer mal eine geordnete Gruppe, von den Kostümen her, gänzlich kleinkariert. Völlig klar, ein Fremder, wie dieser Joseph stört, da fehlt nur der Anlass, dann muss man ihn zur Räson knüppeln.

Das alles kommt choreografisch kaum mal in richtige Spannung, es bleibt eine Abfolge ausgestellter Szenen. Das liegt auch schon so in der Musik, die nicht ganz frei ist von lautstarken Banalitäten oder gefälligem Geklingel für das ganz große Strauss-Orchester, hier unter der Leitung von Paul Connelly.

Glücklicherweise ist ein Tänzer wie Jiří Bubeníček in der Titelpartie gänzlich frei von aller Vordergründigkeit. Das ist eine höchst beeindruckende, existenzielle Leistung, insbesondere im außergewöhnlich großen Solo, in der Ambivalenz der erotischen Verunsicherung im Pas de deux mit Svetlana Gileva als Verführerin und auch in den Pas-de-deux-Szenen mit Elena Vostrotina als rettendem Engel, die bei solcher Spitzenleichtigkeit gar keine Flügel nötig hat.

Ein interessanter Aspekt in der Choreografie sind die Andeutungen in einer Art Dreiecksverfallenheit des von Milán Madar getanzten Potiphar und seiner Frau im Verhältnis zu jenem fremden Joseph, der ja bei Jiří Bubeníček auch kein Knabe, sondern eher ein Mann ist, den weder die gesuchte Nähe des Kanzlers noch die seiner in Gold gehüllten Gattin gänzlich unberührt lassen.

Ganz und gar nicht unberührt lassen kann die zuvor zu erlebende „Tanzsuite“ für kleines Orchester von Richard Strauss nach Klavierstücken von François Couperin (1668 - 1733), uraufgeführt 1923 in Wien, jetzt in Dresden als choreografische Uraufführung. So wie Strauss dem musikalischen Original weitestgehend treu bleibt, durch die diffizile Orchestrierung aber ein höfisches Farbspiel entfaltet und heitere Elemente durch einige Freiheiten, die er sich dann doch erlaubt, zum Klingen bringt, so fühlt sich der Choreograf Alexei Ratmansky zunächst auch gänzlich der Musik, ihren Anlässen und ihrer Stilistik verpflichtet.

In den von geschmackvoller Zurückhaltung geprägten, weißen Kostümen von Yumiko Takeshima, im sensiblen Licht von Patrik Bogårdh, präsentieren sich 18 Tänzerinnen und Tänzer in wunderbarer, klassisch grundierter Eleganz. Davon ausgehend entwickelt Alexei Ratmansky eine so faszinierende wie zerbrechliche Abfolge tänzerischer Miniaturen von hohem Anspruch. Aus dem Hören auf die Musik und aus der Kenntnis klassischer Traditionen entwickelt er den Tanz für die drei Paare der Solisten und die Gruppe. Dabei kommt es zu so leichten wie fließenden Übergängen. Immer wieder sensibel gesetzte, so fein- wie hintersinnige Brechungen, etwa bewusst choreografierte nicht synchrone Passagen.

Kleine „Schlenker“ ganz plötzlich in einer streng begonnenen Variation, wunderbare Sprungfolgen von Jón Vallejo in der Gruppe, oder eine witzige Rückwärtsbewegung von Johannes Schmidt. Das ganze Ensemble im Carillon zum musikalischen Dialog für Glockenspiel und Cembalo, da wird der Klang zum Tanz.

Exzellent in ihren filigranen Variationen die Solistenpaare, Svetlana Gileva und Raphaël Coumes-Marquet in raumgreifender Eleganz; Gina Scott und Denis Veginy mit ihrer augenzwinkernden Heiterkeit, oder Dousi Zhu und Claudio Cangialosi beispielsweise in der zunächst musikalisch von leichter Schwermut durchwehten Sarabande. Was mit einem feierlichen Reigen beginnt, nach Wirbeltanz und Allemande mit einem ganz und gar nicht militanten Marsch ausklingt, führt die Dresdner Tänzerinnen in die so leichten wie lichten Höhen eines Meisters klassischer Heiterkeit wie Alexey Ratmansky.
 

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