„Dub Love“ von Cecilia Bengolea & François Chaignaud

„Dub Love“ von Cecilia Bengolea & François Chaignaud

Zwischen Kopf und Bauch

Eine Stippvisite bei der Sommerszene Salzburg

Cecilia Bengolea & Francois Chaignaud , Roger Bernat/FFF und Anne Teresa De Keersmaeker/Rosas/Ictus

Salzburg, 30/06/2014

Der Darm als neues Gehirn, als Sitz der eigentlichen und weitaus differenzierteren Intelligenz ist derzeit ein großes Thema in Medien und Bestsellerlisten. Und auch ein zweitägiger Besuch der diesjährigen Salzburger Sommerszene „All you need“ stößt mich auf die Trennung und/oder Verknüpfung von Kopf und Bauch. Erleben und Denken werden in den besuchten Vorstellungen bis an ihre Grenzen ausgereizt und bieten damit vielleicht wörtlich „All you need“...

Ein großer Lautsprecherturm, eine seitliche Spiegelwand und ein DJ-Pult (Dubplates: High Element) bilden den Rahmen für „Dub Love“ von Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud. Langsam setzen pulsierende Dub- und Reggaerhythmen ein. In der sich in ihrer Intensität unaufhörlich steigernden Musik steht ein Tänzer in hautengem Trikot im Plié auf Spitze. Seine hochkonzentrierten, langsamen Bewegungen kreieren eine Statik, die in absolutem Gegensatz zu den Pulsationen der Musik steht. Aus dem Dunkel lösen sich nach einiger Zeit zwei weitere Tänzerinnen, die ebenso konzentriert, kraftraubend und maschinenhaft tanzen. Auch wenn kurze Momente der Kontaktaufnahme zwischen den drei TänzerInnen entstehen, bleiben sie in weiten Teilen vereinzelt wirkende, roboterhaft anmutende, isolierte Bewegungsapparate. Die Musik wird immer lauter, Bassfrequenzen beginnen den Raum, das Licht und die Körper des Publikums vibrieren zu lassen. Hochtechnisierte, statisch anmutende Tänzerbewegungen stehen den sich durch den eigenen Körper ausbreitenden, unkontrollierbaren und verunsichernden Frequenz-Vibrationen gegenüber. Nicht nur die TänzerInnen auf der Bühne gehen an die sichtbaren Grenzen ihrer Kraft, auch das Publikum wird zum Teil schmerzhaft fühlbaren Musik-Bewegungen ausgesetzt -einige Zuschauer verließen vorzeitig den Saal.

So entsteht eine Ästhetik, die sicher auch über den Kopf nachzuvollziehen ist, die sich jedoch mit der Akzept des (körperlichen) Ausgeliefertseins in all ihrer Gegensätzlichkeit und ihrem Verbindenden, ihrer Statik und Dynamik, ihrer Technisierung und Emotionalisierung, über den Bauch besser zu erschließen scheint.

Ganz im Gegensatz dazu steht Anne Teresa De Keersmaekers „Vortex Temporum“. Die auf karger Bühne und mit heller Laborbeleuchtung im republic stattfindende Österreichpremiere dieses neuen und bereits viel besprochenen Werkes von Keersmaeker zu der gleichnamigen Komposition von Gérard Grisey (eine Spielstätte mit besserer Akustik wäre wünschenswert gewesen) besticht durch seine bis ins kleinste Detail ausgefeilte Struktur und bietet eine intellektuelle Herausforderung. Die Beibehaltung der klassischen Theatersituation und die Betonung des Strukturellen schafft eine emotionale Distanz, die zu einer intellektuellen Auseinandersetzung einlädt. Eindeutig ein Abend für den Kopf.

Irgendwo zwischen Kopf und Bauch changiert Roger Bernats „Domini Públic“. Treffpunkt ist am republic. Dann geht es gemeinsam durch die Salzburger Altstadt in Richtung Neue Residenz in einen Innenhof. Ein Kopfhörer begrüßt jeden Teilnehmer mit W. A. Mozart (oder ist es nur eine Annahme, dass wir alle das Gleiche hören?). Fragen, die von der Höhe des Einkommens, über politische Meinungen bis hin zu intimen Erlebnissen reichen, werden über die Kopfhörer gestellt. Die Beantwortung ist mit einfachen Bodenwegen oder Gesten verbunden. Langsam werden die Teilnehmenden durch bestimmte Fragen in Gruppen geteilt, denen nach und nach Rollen wie Polizei, Gefangener und Sanitäter zugeordnet werden. Es wird eine Fluchtszene inklusive Liebesgeschichte nachgestellt. Im Gegensatz zu den Fragen des ersten Teils wirkt dieses Narrativ etwas zu gewollt und entlässt, zu meinem Bedauern, die Teilnehmer aus der Konfrontation mit sich selbst.

Aus all diesen Bewegungen entsteht eine Choreografie, die sich hauptsächlich durch das Verhalten der Teilnehmenden bestimmt. Grundsätzlich nicht für ein Publikum geplant, wird der Teilnehmer zum Gestalter und Rezipienten gleichermaßen. Durch den Kopfhörer auf sich selbst zurück geworfen agiert jeder erst einmal für sich und dennoch entsteht schon bald durch neugierige Blicke, das gemeinsame Ausführen derselben Handlungen und den Versuch sich in Relation zu den anderen zu positionieren, eine ganz eigene (eher aus dem Bauch heraus gesteuerte) Gruppendynamik.
 

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