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Heidelberg
WIE DAS LEBEN SO TANZT
Das ARTORT-Festival rund um die Heidelberger Hebelhalle geht in die zweite Runde
Das Leben kann ein schöner, ruhiger Fluss sein: Wenn die Mitglieder der Genfer Tanzcompany Cie. 7273 „NIL“ tanzen, dann entfaltet ein sanfter Reigen im Bühnennebel allmählich einen unwiderstehlichen Sog – so fließend sind die Bewegungen dieses Sextetts auf einander abgestimmt, so nah können sich diese Tänzer kommen, ohne mit ihren weit ausgreifenden Armbewegungen den Raum des anderen je zu stören, dass das Publikum in der Heidelberger Hebelhalle sich gern einstimmen lässt in einen Wohlfühl-Flow.
Das Leben kann aber auch heftige Leidenschaft entfalten, wie die spanische Company „La Macana“ im mehrfach preisgekrönten Duett „VEN“ in schmerzhafter Eindringlichkeit unter Beweis stellt: Die beiden Tänzer aus Galizien wagen sich in den Raum vor, in dem die Liebe weh tut – und wie! Dabei werden die gängigen Pas-de-Deux-Erwartungen (er trägt sie) buchstäblich auf den Kopf gestellt – Caterina Varela kann das genauso gut wie ihr Partner Alexis Vernández. Und mehr: Sie ist es, die den Mann per Handzeichen ermuntert, sie als Stütze zu benutzen, und das tut er ohne Rücksicht auf Verluste. Er schmeißt sich regelrecht auf ihren Körper, springt mit Wucht auf ihre Schultern, läuft auf ihren Füßen und Händen… Die schmale Grenze zwischen körperlicher Nähe und Übergriff wird hier mit verstörender Intensität immer wieder gekreuzt. Eleganter und lässiger thematisieren die beiden galizischen Künstler die wörtlich und körperlich genommene Begegnung auf Augenhöhe in dem Duett „La Coruna“.
Acht Programmpunkte, sechs Schauplätze vom Keller der Hebelhalle bis zum architektonischen Kleinjuwel im Hof des benachbarten Autohauses Bernhardt: Auch in der zweiten Staffel der Hebelhalle stellten die UnterwegsTheater-Macher und ARTORT-Organisatoren Bernhard Fauser und Jai Gonzales noch bis Sonntag unter Beweis, dass sie ihr Ohr am Puls der aktuellen europäischen Tanzszene haben – und Kultur auch an ungewöhnlichen Schauplätzen inszenieren können.
Im Hof der Hebelhalle kämpfte „Rootlessroot“-Tänzerin Linda Kapetanea wie eine antike griechische Tragödiengestalt gegen eine unnachgiebige Wand; mit gezielten Trommelschlägen konnte sie – der ausgeklügelten Technik sei Dank – den Beat des elektronischen Sounds ebenso hochpuschen wie ihre Erregung. Ganz sanft ließ es dagegen Jorge Jáuregui (Company „Ember“) angehen, als er seiner im prähistorischen Steinkreis kauernden Partnerin Laura Aris mit kleinen Stöckchen einen üppigen Stachelkamm auf den lehmbeschmierten Rücken steckte. Beinahe atemlos verfolgte das Publikum im Keller der Hebelhalle, wie sie sich als scheues Tier zu bewegen begann, bis sie – endlich von ihrer Bürde befreit – im Schnelldurchlauf menschliches und tänzerisches Bewegungsvokabular zugleich erforschte.
Fast ein wenig irrational wirkt der Hinterhof des benachbarten Autohauses, gesäumt von einer Fassade mit frei schwingenden Rampen. Am unteren Stützpfeiler kämpfte Jorge Jáuregui gegen ein ihn fesselndes Seil – ein kleines, feines Solo für einen großen Tänzer.
Wie schon am vorigen Wochenende gehören die neue UnterwegsTheater-Eigenkreation „Leben“ (Choreografie: Jai Gonzales) und die Rauminstallation von Simraysir zum Programm.
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