„Hierarchy of Clouds“ von Rui Horta

„Hierarchy of Clouds“ von Rui Horta

Kein Land in Sicht

„Hierarchy of Clouds“ von Rui Horta in Hellerau

In der neuen Arbeit Hortas lässt sich beobachten, wie vier Tänzerinnen und drei Tänzer „ihr“ Land gewinnen, verlieren, es sich zurück erobern oder das gewonnene Land immer wieder verlassen.

Dresden, 04/10/2014

Es gibt so eine Redensart. „Sieh zu, dass du Land gewinnst.“ Das kann bedeuten, Abstand zu halten, sich zu entfernen, oder auch, wenn es darum geht, die Spanne zwischen dem Ort, an dem man ist und dem, wo man sein möchte, zu bewältigen. Und da gilt es bestenfalls Hindernisse zu bewältigen und schlimmstenfalls andere, die schon dort sind oder schon immer dort waren, aus dem Weg beziehungsweise aus dem Land zu räumen. „Landnahme“ nennt man das. Das klingt friedlicher, als es in der Geschichte der Menschheit war und wie wir täglich erfahren müssen, noch immer ist.

In der neuen Arbeit von Rui Horta mit dem Titel „Hierarchy of Clouds“, die jetzt im großen Saal des Hellerauer Festspielhauses zur Uraufführung kam, lässt sich beobachten, wie vier Tänzerinnen und drei Tänzer „ihr“ Land gewinnen, verlieren, es sich zurück erobern oder das gewonnene Land immer wieder verlassen.

Zunächst rollt eine Tänzerin eine große schmale Papierrolle vor der hinteren Begrenzung der Bühne aus. Die Rollen schnippt zurück, sie muss nachhelfen. Dann wird sie diese Papierbahn, diesen Streifen am Horizont, der Länge nach knüllen und knautschen. So entsteht ein Gebirgshorizont, eine Begrenzung, ein mit den Gefahren der Überquerung verbundenes Hindernis. Papier wird in den nächsten gut 70 Minuten eine wichtige Rolle spielen. Das Land ist aufgeteilt, auf dem Papier, auf den Karten, in den Atlanten, in den Verträgen, auf den Tischen derer, die darauf bestehen, dass die Aufteilung unantastbar ist oder bei denen, die keine Horizonte kennen, wenn es für sie darum geht, Land zu gewinnen. Am Ende wird die Bühne leer sein, kein Papier mehr, kein Horizont, kein Lichtpunkt. Dafür haben die sieben Tänzer in schönster Einmütigkeit und Arbeitsteilung einen langen Draht aus Metall gebogen und geformt. Als gelte es, die Umrisse des verschwundenen Horizontes nachzubilden - nur dass dieser aus anderem Material geformt ist und es sich nicht vermeiden lässt, die Stacheln an dem Draht, die Stromstöße, die man hindurch leiten kann, als einigermaßen wacher Zeitgenosse rasch zu assoziieren.

Und weil das Theater der Raum ist, in dem kein Blut fließen muss, wenn es darum geht, blutige Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen und zum anderen aber auch Hoffnungen und Visionen, von denen die Realität weit entfernt ist, ins Bild zu setzen, schwebt dieses Drahtgebilde in die Höhe und verschwimmt mit seinen harten Umrissen im weichen, weißen Licht von oben. Das sensible Duett davor ist eine Annäherung zweier Menschen, von kurzer Dauer. Ein Tänzer, ein Solo zum Ausklang, immerhin. Und zwischen diesen Bildern spannt sich ein Bogen, es gibt Rätsel, die ungelöst bleiben. Es gibt Szenen, die sich erschließen. Der Kampf um den Platz im Licht etwa oder die Art und Weise wie das viele Papier genutzt wird. Sei es, dass man es zur Kugel knüllt, sich als Mann zur Verstärkung der Männlichkeit in die Hose steckt und als Waffe der Eroberung benutzt oder es sich als Frau in Form eines Kleides um den Leib hüllt oder sich mit Papier bis zur Unbeweglichkeit ausstopft. Ein anderer Protagonist sucht sich sein Land sogar unter der Erde.

Tänzerisch betritt man nicht so viel Neuland. Es hat den Anschein, als gäbe es einen Bewegungskanon des zeitgenössischen Tanzes, dessen Versatzstücke es zu kombinieren und wieder zu dekonstruieren gilt. So entstehen immer wieder neue Situationen die sich erschließen oder neue Rätsel - Scheitern, Irrungen und Wirrungen inbegriffen. Das ist kein Problem, solange man eine Kompanie wie diese hat: sieben Tänzerinnen und Tänzer, höchst individuell, mitunter nicht ohne Humor.

Eine lineare Erzählung, wie der Programmzettel vorsichtshalber informiert, ist selbstverständlich nicht zu erwarten. Und doch ist es der Tanz in den performativen Grenzbereichen, der für poetische Weite sorgt, dem ein gewisser, erzählender Charakter eigen ist. Horta, den unter anderem die Frage beschäftigt, wie es sein kann, dass Körper und Seele eines Menschen an ganz verschiedenen Orten sind, spricht von der „Hierarchie der Wolken“. In einem „Wolkenkuckucksheim“ ist er aber nicht gelandet.
 

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