„chipping“ ​​​​​​​von Anna Konjetzky

„chipping“ von Anna Konjetzky

Grenzgängerisch

Das Rodeo-Festival der Münchner freien Szene

Auf wilden Pferden oder Stieren, keine Sorge, wird hier nicht geritten. Aber an Risikolust und Wettkampfgeist hatte das Kulturreferat sicher gedacht, als es 2010 dieses Festival – lobenswert: für ausschließlich ortsansässige Künstler! – initiierte.

München, 13/10/2014

Auf wilden Pferden oder Stieren, keine Sorge, wird beim Münchner „Rodeo“ nicht geritten. Aber an Risikolust und Wettkampfgeist hatte das Kulturreferat sicher gedacht, als es 2010 dieses Festival – lobenswert: für ausschließlich ortsansässige Künstler! – initiierte. Was sich jetzt in der dritten Ausgabe nur bestätigte: „Rodeo“ hat sich, neben den Festivals Spielart, Dance und der Musikbiennale, zu Münchens anderer, zu einer grenzüberschreitenden Biennale gemausert. Tanz, (Musik-)Theater, (Performance-)Kunst, im geschlossenen wie im offenen städtischen Raum – alles darf dabei sein.

Drei gesehene Uraufführungen sind in sich schon grenzgängerisch: Anna Konjetzkys „Chipping“ (abschlagen/abspänen) flackert in splitternden Bildern über die Kammerspiele-Werkraum-Bühne. Die liegt zunächst im Dunkeln. Nur in einem schmalen hin und herfahrenden Lichtstreifen erahnt man ein nervös herum huschendes Kapuzenshirt-Wesen. Die zierliche Sahra Huby erweist sich bald als drahtig-zähe Einzelkämpferin in Anton Lukas' Landschaft aus vier verschieden großen auf Schienen hin und hergleitenden Kuben. Umdröhnt von einem rhythmisch ratternden Räderwerk-Sound (Brendan Dougherty) hangelt sie sich hoch auf das Kuben-Gebirge, oben stumm Gesten-rappend, ausdauernd, auto-aggressiv, selbstzerstörerisch. Wieder hinunter gefallen, wird sie von den Kuben wie Treibgut geschoben und, so die Suggestion, zwischen ihnen zerrieben. Mehrmals breitwandig projizierte Plattenbau-Szenerien verweisen auf die unlebbaren Vorstadt-Öden, ob in Paris oder Berlin. Um die Hälfte zu lang, ist „chipping“ dennoch Konjetzkys bisher beste Arbeit, in der sie auch ihre Handschrift als „Architektin des bewegten Raums“ gefestigt hat.

Die Israelin Zufit Simon dagegen ist eine, wie schon ihre beiden letzten Arbeiten zeigten, wunderbar hartnäckige Bewegungsforscherin. Unablässig fragt sie: Was kann der Körper? Und was alles kann er mit unendlich vielen mitspielenden Muskeln ausdrücken? Auch ihr Stück ist zu lang – und eher als Recherche zu werten. Aber wie sie und zwei Kollegen in klug variierter Raum-Dramaturgie alle Möglichkeiten des Winkens, Grüßens, Lächelns durchspielen, wie sie schulterbebend schluchzen, mit Händen vor dem Gesicht trauern, sich mit synchron vibrierendem Torso gegenseitig trösten oder fingerzeigend Schuld zuweisen, das ist, typisch für Simon (nie liefert sie Talmi), mit einer einmalig konsequenten Ernsthaftigkeit durchgearbeitet.

Die deutsch-syrische Künstlerin Mey Seifan sammelt – über Facebook - Träume ihrer syrischen Landsleute seit der Revolution, die sie mittels einer „Traumlogik“ inszeniert. Was praktisch eine doppelte surreale Distanzierung der aktuellen syrischen Kriegsrealität bedeutet. Seifans Bühne ist mit Schuhen, Kleidern und japanischen Sonnenschirmen chaotisch bestückt. Eine blond perückte Frau kehrt mechanisch mit Straßenbesen. Ein mittelalterlicher Ritter stapft lautverstärkt herein, der dann von zwei Sirenen armschlängelnd umgarnt wird. Außer zwei aus dem Off kommenden auf Deutsch übersetzten Träumen, die szenisch aber gar nicht integriert sind, gibt es noch mehr solcher bizarrer Aktivitäten. Ein Syrer als Gast sitzt mit auf der Bühne diese „Traum-Show“ durch, auf die wir uns – bei allem Suchen nach historischen Bezügen, bei allem Verständniswillen für Traumata und Sehnsüchte dieses geschundenen Volkes - absolut keinen Reim machen konnten.

Auf jeden Fall sind hier arbeitende Künstler aus anderen Ländern eine Bereicherung für die Münchner freie Szene. Gleiches erhofft man sich von dem neu berufenen Kurator Jonas Zipf, Regie-Absolvent der Münchner Theaterakademie August Everding und seit dieser Spielzeit Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt. Er hat, neben neun bereits existierenden Münchner Produktionen und fünf Uraufführungen, mit Einführungsworkshops und Diskussionen schon mal für viel Nachdenken und Lernen gesorgt.

„chipping“, eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen, ist nochmals am 23. und 24. 10., 20 Uhr, zu sehen
 

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