„Im Satz des Pythagoras“ von Tarek Assam

„Im Satz des Pythagoras“ von Tarek Assam

Mathematik trifft Tanz

Uraufführung von Tarek Assam mit Musik von „Piano Particles“

Wie tanzt man Mathematik? Diese Frage stellten sich viele, die die Ankündigung von Tarek Assams neuer Tanzkreation „Im Satz des Pythagoras“ lasen. Am Sonntagabend wurde die doppelte Uraufführung im Stadttheater Gießen umjubelt.

Gießen, 13/10/2014

Wie tanzt man Mathematik? Diese Frage stellten sich viele, die die Ankündigung von Tarek Assams neuer Tanzkreation „Im Satz des Pythagoras“ lasen. Am Sonntagabend wurde die doppelte Uraufführung im Stadttheater Gießen umjubelt. Doppelt, weil auch die Musik des Stuttgarter Duos „Piano Particles“ erstmals aufgeführt wurde, unter dem Dirigat von Michael Hofstetter, Generalmusikdirektor am Stadttheater Gießen.

Im Pressegespräch hatte Tarek Assam seine Faszination für den ersten vorchristlichen Philosophen Pythagoras bekundet. „Jemand, der schon vor 2500 Jahren die Idee hatte, dass unser Leben auf der Basis von Zahlen erklärbar sein müsste - das ist unvergleichlich weit vorausschauend gewesen. Denn wo stehen wir heute? Unsere ganze Welt beruht auf Berechnungen, ohne sie gäbe es kaum eine Wissenschaft, keine Computer.“ Am bekanntesten ist der „Satz des Pythagoras“, der besagt a²+b²=c². Über die geometrische Analyse hinaus sind darin weitergehende philosophische Fragestellungen enthalten. Zu Pythagoras' Lebzeiten, um 500 vor Christus, gehörte zur Mathematik die Mystik und Zahlensymbolik, die Sterne und das Universum. Pythagoras habe die „Sphärenmusik“ auch als Erwachsener hören können, so die Überlieferung, die nach damaliger Vorstellung aus der Bewegung der Gestirne entstand.

Auf der Bühne sind Linie, Dreieck und Quadrat in vielen Varianten zu sehen: im Schattenwurf auf dem Boden, in Linien allenthalben, und die Philosophen stellen unentwegt Fragen danach. Auf Sitzleitern blicken sie auf die Tanzenden, beobachten deren Bemühen, eine Antwort mittels Körperbewegungen zu geben und diskutieren heftig darüber. Die Positionen werden getauscht, jeder versucht sich im Fragen und im Antwortgeben. Das Anspornen bekommt auch mal eine gewisse Sexyness, wenn „Mach mir das Dreieck“ ertönt, und wird ironisch im Sinne von „Wisst ihr überhaupt, was ein Dreieck ist? Haltet ihr das für eine Linie?“ gebrochen. Einer tanzt eben immer aus der Reihe, soviel ist gewiss, eineindeutige Antworten gibt es nicht.

Das beeindruckende Bühnenbild mit Zahlen und geometrische Grundformen hat wieder Fred Pommerehn erdacht, der seit vielen Jahren in Berlin lebende Amerikaner, der schon mehrmals mit Assam zusammenarbeitete. Volle Wirkkraft erlangt es durch die Lichtregie von Kati Moritz, Lichtmeisterin am Stadttheater Gießen. Für die monochrom grau-silbrigen Kostüme im bequemen Alltagslook zeichnet wieder Gabriele Kortmann (Berlin) verantwortlich.

Zu sehen sind im Wechsel ein Sternenhimmel, das Universum verbildlichend, lange Leuchtstäbe als Parallelen im Raum oder sich kreuzend zu Dreiecks- und Quadratformen. Dazu kommen die unablässig sich verändernden Zahlenkolonnen im Dezimalsystem, die für Computerberechnungen stehen. Die Videoeinspielungen wurden im Bio-Motion-Labor der Sportwissenschaftler an der Universität Gießen gedreht, mit denen Assam schon mehrfach kooperierte. Assam nutzt die Sichtbarmachung der Bewegung in Punkten und Vektoren als ästhetisches Pendant zum Tanz auf der Bühne. Dies demonstriert insbesondere Michael Bronczkowski.

Die Musik bewegt sich zwischen sphärischem Klangteppich, gelassen und froh stimmendem Piano und dramatisch akzentuierenden Streichern. Von Klassik bis Pop ist vieles dabei, am häufigsten erinnert der Sound an Filmmusiken. „Piano Particles“, das sind Steffen Wick, der für Orchesterkomposition und Pianospiel, und Simon Detel, der für Sounddesign und Live-Elektronik zuständig ist. Ihr Interesse gilt der Musik, die Grenzen zu anderen Kunstformen überschreitet, und sie performen selbst, auch in Gießen sitzen sie im Orchestergraben. Damit wurde erstmals bei einer Live-Aufführung in Gießen die Kombination von Orchestermusik und elektronischer Musik umgesetzt.

Im Zentrum steht die 13-köpfige Tanzkompanie, die eine absolut überzeugende Ensembleleistung bot. Nur sechs Wochen Zeit hatten die Neuen sich einzufinden, das sind: Agnieszka Sara Jachym, Kristina Norri, William Banks, Alberto Terribile und Valentin Thuet. In Dreier- und Vierergruppen wird die Suche nach dem Dreieck oder dem Quadrat thematisiert, in Gruppenszenen die Linie, mathematisch gesprochen die Gerade, gesucht.

Immer wieder gibt es berührende Einzelszenen: zu Dritt etwa mit Bronczkowkski, Endre Schumicki und Mamiko Sakurai, oder rein weiblich besetzt mit Caitlin-Rae Crook, Jennifer Ruof und Magdalena Stoyanova, vor allem der Tanz mit den Stangen fasziniert. Assam hat ungewöhnliche und zauberhafte Pas de Deux kreiert, mit Krautwurst und der federleicht springenden Mamiko Sakurai, mit Schumicki und Yuki Kobayashi, deren Arme sich ins Unendliche zu verlängern scheinen, oder das rein männlich besetzte Duo Bronczkowski und Terribile, das mit Sprungkraft und Dynamik beeindruckt. Zu Lachen gibt's auch was: wenn das Raumschiff namens A2 in feindliches Gefilde gerät, weil die Dreiecksberechnung falsch gelaufen ist. Bronczkowkski kann hier als Towerman seine Komikerseite ausspielen.

Ein großartiger Tanzabend von geradezu hypnotischer Qualität, dessen zahlreiche Facetten zu mehrmaligen Besuchen auffordern.
 

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