Magische Männertänze

Sie beginnt leise, ganz ohne Musik, diese Reise in eine Welt der tanzenden Männer, obwohl zwei erhöht stehende, voluminöse Schlagzeuge im Hintergrund eher ein großes Klangvolumen verheißen. Auf dem weiß ausgelegten Tanzteppich, der das Bühnenviereck markiert, stehen oder liegen in der rechten oberen Ecke: eine Topf-Palme, ein Sessel, einige Boule-Kugeln, ein Buch – eine Art Zimmer mit Aussicht. Ein junger Mann in Jeans und Hemd tritt an den Rand des Tanzteppichs, entledigt sich seiner Sportschuhe und beginnt zu tanzen. Es sind leichte, wie aus der unmittelbaren Eingebung geborene Bewegungen, sanft schwingend, mit einem Hauch von türkischem Volkstanz. Wie von ihm angesogen, schälen sich weitere Männer aus dem Dunkel, mal einer, mal zwei, stimmen ein in diesen schwingend-fließenden Bewegungskanon, bis schließlich alle acht Tänzer beisammen sind. Schon dieses stille, gesammelte Miteinander übt beim Zuschauen eine magische Faszination aus – eine auf- und abschwellende Welle von Energie, die von dieser Männer-Gruppe ausgeht. Eine verhaltene Kraft, die unmittelbar ins Herz trifft.

Diese verstärkt sich noch, als die beiden Schlagzeuger dazukommen, sich mit einschwingen in diesen Rhythmus der Männer, die zuvor die Wohnungs-Utensilien wegtragen – denn dieser Tanz braucht Platz, Raum, Entfaltungsmöglichkeiten. Aber keiner drängt sich dem anderen auf. Was hier zwischen Percussion und Tanz entsteht, ist ein einfühlsamer, aufmerksamer, achtsamer Dialog zwischen der Musik und diesen acht Männern, mal einzeln, zu mehreren oder mit der gesamten Gruppe.

In den insgesamt 70 Minuten dieses Miteinanders schraubt sich der Tanz langsam hoch – in ständigen, unmerklichen Wechseln der Synchronität. Das ist nie, nie, nie langweilig, diese Männer erfinden ihre Schrittkombinationen immer wieder neu, immer wieder anders aufeinander eingehend. Die Anspielungen auf die türkischen Volkstanzelemente sind deutlich erkennbar, ohne je volkstümelnd zu werden. Sie schmiegen sich ein in die fließenden Übergänge der übrigen Bewegungssprache, in diese Wellen von Energie, die sich über die Bühne und das Publikum ergießen.

Zwischendurch ziehen sich die Schlagzeuger zurück. Einer der Männer beginnt ein Solo, das nach und nach einen magischen Sog entwickelt und einzelne Tänzer anzieht, auch die Schlagzeuger zurückholt, bis schließlich alle acht Tänzer und die Musik sich wechselseitig in das grandiose Finale hineinsteigern.
Christian Rizzo hat dieses Stück in Erinnerung an eine Szene kreiert, die er 2004 in Istanbul erlebt hatte und die ihn, wie er selbst sagte, „überrollte mit einer tiefen, fast archaischen Emotion“. Genau das hat er nun in seinem Stück auf seine Art gespiegelt. Es sind 70 Minuten wunderbare, magische Männertanzkunst.

Großer Jubel in der leider gerade mal zur Hälfte gefüllten K6 auf Kampnagel.