„May be the way you made love“ von Christine Gaigg

„May be the way you made love“ von Christine Gaigg

Ambivalenzen des Teilens

Der „steirische herbst“ ging am Wochenende zu Ende

Das Programm des diesjährigen „steirischen herbstes“, das unter dem Motto „I prefer not to… share!“ stattfand, wirft viele Fragen des Teilens in unserer heutigen Gesellschaft auf und hinterfragt allgegenwärtige Konsumgewohnheiten.

Graz, 22/10/2014

Das Programm des diesjährigen „steirischen herbstes“, das unter dem Motto „I prefer not to… share!“ in Graz und der steirermärkischen Umgebung stattfand, wirft viele Fragen des Teilens in unserer heutigen Gesellschaft auf und hinterfragt allgegenwärtige Konsumgewohnheiten. Was teilt man von sich? Muss man etwas besitzen, um überhaupt teilen zu können? Was bedeutet es, auf der Bühne zu teilen? Wo setzen Veränderungen an in einer Welt, in der das Teilen zum Kalkül, zur Datenpreisgabe und zu einem Werkzeug kapitalistischer Wirtschaftsansätze mutiert? Und außerdem, wer teilt hier eigentlich mit wem?

Das Festival-Angebot bezwingt durch eine große Vielfalt an bildender Kunst und Architektur in mehreren Ausstellungen, dem „musikprotokoll“, Theater, Tanz und Performance bis hin zu Live-Games, sowie Theorie im Rahmen der herbst-Akademie der Asozialität und dem Begleitkatalog „herbst. Theorie zur Praxis“. Wieder einmal zeigt sich dieses Festival von einer zukunftsorientierten, experimentierfreudigen und kritischen Seite. Wo findet sich nun in dieser bunten Mischung der Tanz? Mithilfe des Programmheftes und seines einfallsreichen Aufbaus lässt sich diesmal an prozentualen Angaben ablesen, wie viel Tanz in den jeweiligen Vorstellungen steckt.

Dabei kommt Christine Gaigg und ihre Kompanie 2nd nature mit der Uraufführung von „Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?“ mit 11% Tanz weg, bietet dafür aber 69% Begierde und 20% Reflexion. Wie dieses Begehren vermittelt wird, ist schwer zu greifen. Es bildet den offensichtlichen thematischen Schwerpunkt des Stückes, reproduziert aber keineswegs ausschließlich pornografische Darstellungen. Man findet eher Bewegungsanalysen des sexuellen Aktes in Tanz verpackt. Dieser spielt mit dem Atem, untersucht ihn immer wieder selbstreflexiv und gesteht ihm seine eigene unabhängige Dramaturgie zu. Die in Wien arbeitende, freischaffende Choreografin beschäftigt sich hier mit einem Thema, das sich auch schon in anderen medialen Diskursen aufzeigen lässt, wie kürzlich ein Artikel in der Zeit Ende August dieses Jahres mit dem Titel „Die große Heuchelei“ unterstreicht. In diesem wird das paradoxale Verhältnis zwischen pornografischen Praktiken im Netz und beispielsweise der Modebranche, im Gegensatz zur Prüderie in den sprachlichen Abbildungen desselben auseinandergenommen. Dadurch entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Körper und Text - eine beliebtes Thema, mit dem sich Christine Gaigg schon öfter und nun in diesem Stück wieder auseinandersetzt. Durch verschieden vorgelesene Ausschnitte persönlicher Erfahrungen erzählt sie die tagebuchartigen Anekdoten Richtung Publikum, während hinter ihrem Rücken, gegen die rechteckig aufgebaute Bühnenwand, sich ein Tänzer und zwei Tänzerinnen an einem Bewegungsvokabular der Annäherungen versucht. Diskrepanzen zwischen Generationen, das sich verändernde Kennenlernen durch Social Media und ein Verfechten der jeweils eigenen Gegenwart, wie sie auch bei dem talk nach einer Aufführung aufkamen, nährt den Austausch im Publikum, zu dem ein solches Stück sehr anregt.

Die deutsche Erstaufführung von „Victory Smoke“ der italienischen Tanz- und Performancegruppe Barokthegreat kommen mit ganzen 50% Tanz davon, 30% E-Gitarre und 20% Schattenbilder runden das Ganze ab. Die Ruhe vor dem Sturm? Diese findet sich im Einsatz der Lichtquellen, der durch ungewöhnliche und geometrische Formen überzeugt, und im musikalischen Aufbau. Es geht um den Zeitpunkt vor dem Überschreiten der Schwelle zum Erfolg und das Jagen und gejagt werden. Das Bewegungsvokabular wirkt zwar ebenfalls als etwas nach, das sich einer tatsächlichen Übersprungshandlung entzieht, entfaltet aber keine Dynamik, die man mit Begriff des Jagens assoziieren würde.

Boris Charmatz' „Manger“ wird im Programmheft als 100% Tanz ausgeschrieben! Minimalistisch oder Overload? Diese Frage stellt sich während des gesamten Stückes. Die choreografischen Veränderungen und Entwicklungen passieren unaufgeregt und leise, wie weiche Wellen gehen die Teile ineinander über. Trotzdem durchbricht die zahlenmäßige Größe des Ensembles diesen Eindruck, indem es die Zuschauerkompetenzen überfordert. Laufend wird gegessen, gesungen und verdaut und zuweilen getanzt, vieles passiert in der Waagrechten am Boden, doch auch die Senkrechte wird nicht ganz ausgespart. Bloß nicht den Boden berühren, immer auf jemandem Anderen bleiben. Subtil und nur andeutungsweise das Austreten der Speisen mit Handgesten verhindern, den Magen halten, den Organen durch Spring- und Drehbewegungen beim Verdauen und Ableiten helfen. Den Mund öffnen, und reden, singen, sprechen trotz vollem Mund. Das Essen als Akt der Bewegung, als Verbindung zwischen Außen und Innen.

Die Tanzschwerpunkte lassen sich mithilfe dieser Programmanleitung leicht aufspüren und finden sich auch weniger offensichtlich, weil nicht prozentual benannt, in Stücken wie „Gorkij Park 2“ von Gunilla Heilborn, welches durch choreografische Feinheiten bezwingt, sich aber grundsätzlich an der Präsenz seiner Darsteller aufhängt. Oder in Maria Hassabis Stück „Premiere“, in dem sie mit den Schwellen zwischen Körpern und ihrer bildlichen Darstellung spielt und damit eine ganz eigene Zeitlichkeit produziert. Auch in „All Tomorrow's Parties I+II“, wenn die legendäre Needcompany in einer Grenzüberschreitung alle Genreeinteilungen durcheinander würfelt und eine eigens auf die Stadt Graz zugeschnittene immerwährende Party abliefert und einen Bezug aufbaut, den zu guter Letzt auch Rashaad Newsome mit „Shade Graz“ herstellt, in dessen Stück Stadtbewohner zu einem ungewöhnlichen Chor zusammenfinden und das assoziative Potential ihres Köper- und Stimmrepertoires auf die Bühne bringen.

Wenn sich das Teilen als Themenschwerpunkt im Genre Tanz auch eher subtil durch die intime Geste des Essens oder das Teilen persönlicher Erfahrungen zeigt, dann trotzdem mit einem klaren „I prefer to share...!“.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge