Probenfoto zu Hofesh Shechters „the barbarians in love“

Probenfoto zu Hofesh Shechters „the barbarians in love“

Findet und behauptet Euch!

Hofesh Shechters Uraufführung „the barbarians in love“ im Festspielhaus St.Pölten

Diese Fahrt hat sich dann doch ausgezahlt: Wer sich davor auf der Website des Festspielhauses das Programm runtergeladen hatte, konnte beim Timing stutzig werden. 30 Minuten von Hofesh Shechter, 70 Minuten Tanzkaraoke von Willi Dorner.

St. Pölten, 03/11/2014

Diese Fahrt nach St. Pölten hat sich dann doch ausgezahlt: Wer sich bereits davor auf der Website des Festspielhauses das Programmheft runtergeladen hatte, konnte beim Timing des zweiteiligen Abends am Allerheiligen-Feiertag stutzig werden. (Nur) 30 Minuten von Hofesh Shechter, 70 Minuten Tanzkaraoke von Willi Dorner. Beide Herren sind im übrigen „artists in residence“ in Niederösterreich. Im Nachhinein war man klüger und die Kalkulation der durchaus risikofreudigen Leiterin Brigitte Fürle war aufgegangen.

Salopp formuliert: Shechters Weltpremiere mit dem ersten von drei neuen Werken, die 2015 komplett sein sollen, macht neugierig auf die Fortsetzung. Und Dorners Tanzkaraoke, ein erprobtes Community-Party-Projekt ebenfalls auf der (verkleinerten) Bühne, hatte überraschend viele Besucher zum Nachtanzen jener speziell in St. Pölten gefilmten Choreos von jungen und älteren Amateur-Tänzern gebracht. Da war eine schöne Befreiung im gelehrigen Kopieren der Film-Heroes zu sehen, die die vorangegangene Bühnen-Intensität des 39jährigen Wahl-Londoners mit israelischen Wurzeln nachträglich nur noch spürbarer machte. Hielten davor sechs herausragende, professionelle TänzerInnen in ausgefeiltem Timing, feiner ganzkörperlicher Ausdrucks- und Reaktionsfähigkeit in atmosphärischem Lichtdesign von Lee Curran das überwiegend junge Publikum in Atem, hatte eben dieses danach Zeit, sich selbst als Amateur-Gruppe swingend zu entladen oder aufzuladen, je nachdem.

Der Arbeitstitel von Part I des neuen Dreiteilers hatte eben noch „We Know“ geheißen. Bereits damit ließe sich in der aus zahlreichen Abschnitten gebauten, ungemein dichten und physisch betonten Choreografie so einiges interpretieren. Shechter versteht es, etliche Informations-Schichten in seine choreografische Sprache einzulagern. Man ist versucht, in der rasanten Dichte Tanzworte wie Vokabeln aufzunehmen. Eine heftige Beredsamkeit der Hände und Arme bleibt hängen, immer wieder mag man Spuren von Volkstanz-Elementen „erkennen“, arabisch-israelische Verweise. Shechter würde solche Anmutungen vermutlich von der Hand weisen. Bei einem früheren Publikumsgespräch in St. Pölten meinte er auf die Frage einer Besucherin, ob er denn nicht aus einem speziellen Land komme und seine Werke damit auch zu tun hätten, sinngemäß „aber ganz und gar nicht“, er sehe da keinen Zusammenhang.

Eine geduckte Körper-Haltung, die aus früheren Werken in Erinnerung ist, zieht sich auch durch die neue Arbeit, die wirkt, als würde man der Menschheit bei der Suche nach ihrer Selbstbehauptung und gleichermaßen humanistischen, aufgeklärten Selbstdisziplinierung zusehen. Bei Shechters Bühnenwelten greift man unweigerlich zu großen Worten und jedes seiner Werke scheint in jeder Faser politisch intendiert zu sein. Die Intensität, die er nicht zuletzt durch die Lautstärke seiner Musik erzeugt, speist sich stark aus dem Engagement seines Ensembles. In „the barbarians in love“, wie der Choreograf das Stück nun titelt, verschneidet er eigene, hallende Kompositionen und Empowerment-Sätze wie „We are not alone“ mit Barockmusik von Corelli, Couperin und Antonio Martin y Coll. In den musikalisch historischen Abschnitten scheint es choreografisch um Haltung zu gehen, um Aufrichtung und Klarheit. Die klassische Danse d’école blitzt hier auf in den angerissenen Ports de bras. In der dunklen Wildheit der musikalischen Aktualität nimmt heftiges, erdverbundenes Getriebe zu. Ein Frau-Mann-Duett wirkt wie ein atavistischer Verschmelzungsakt. Die angekündigten 30 Minuten entfalteten ihren Sog und prägten sich ein. Wie geht es weiter?
 

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