Bravouröser Appell, sich nicht selbst zu verraten

Arthaus ediert als historische Reminiszenz Kyliáns „Geschichte vom Soldaten“

Was Jiří Kylián mit dem Nederlands Dans Theater einstudiert hat und 1988 aufzeichnen ließ, darf als eine der gültigen Versionen der Allegorie gelten. An tänzerischem Tempo ist sie jedenfalls kaum zu überbieten.

Bei einem Ballett, das Ende September 1918 uraufgeführt wurde und „Geschichte vom Soldaten“ heißt, liegt die Vermutung nicht weit, es sei dies eine künstlerische Reaktion auf den gerade beendeten Ersten Weltkrieg. Freilich wird ein Genius wie Igor Strawinski nicht eine platt propagandistische Stellungnahme liefern – allein das Thema assoziiert jedoch die schrecklichen Geschehnisse. Der Komponist und sein Librettist Ramuz griffen dafür auf einen Volksstoff zurück, wie ihn zahlreiche Legenden und Autoren behandeln: vom Mann, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht und dafür seine Seele verliert. Hier ist es ein Soldat auf Urlaub in der Schweiz, wo Strawinski damals auch selbst lebte. Text, Musik und Tanz erzählen die parabelhafte Moritat, die, obwohl nicht unbedingt einfach umzusetzen, immer wieder Choreografen zur Auseinandersetzung gereizt hat. Was Jiří Kylián mit dem Nederlands Dans Theater einstudiert hat und 1988 aufzeichnen ließ, darf als eine der gültigen Versionen der Allegorie gelten. An tänzerischem Tempo ist sie jedenfalls kaum zu überbieten.

Nebel wallt, Sturm braust, Donner grollt, als der Soldat noch im Marschtritt kurz vor dem heimatlichen Gefilde anlangt, dort die Schätze im Rucksack überprüft. Kette und Medaillon fängt ihm der Teufel in Gestalt eines Alten fort; für die Geige, die der Soldat in Erinnerung an daheim spielt, bietet der ein Buch mit Zauberkraft. Neugierig und gierig zugleich lässt sich der Bursche auf den Tausch ein: Zu Hause erkennt ihn niemand mehr, alle glauben ihn tot, weil Mephisto ihn Jahre festgehalten hat. Die Braut hat deswegen einen anderen geheiratet. Trost spendet der magische Band, macht den Soldaten endlos reich, aber nicht glücklich. Als Krämerin sucht ihn Satan heim, zeigt ihm Kette und Medaillon; die Fiedel kauft der Soldat zurück, doch sie bleibt stumm, weil der Spieler seine Seele eingebüßt hat. Dann erfährt er von einer kranken Prinzessin, die zur Frau erhält, wer sie gesund macht. Auch der Teufel ist zur Stelle, und mit dessen Geige schafft der Soldat das Wunder der Genesung. Was drei Paare unterdessen grotesk tanzen, Tango, Walzer und Ragtime, schaut unheilvoll aus. Als der Soldat dem fatalen Drängen der Gattin nachgibt, mit ihr seinen Heimatort aufzusuchen, löst sie sich dort in Nebel auf, während ihr Gemahl furios der roten Hölle entgegenstürzt. War also alles nur Teufelstrick?

Kylián jedenfalls kann in den 50 Minuten Spieldauer der 27 Einzelnummern alle Register seiner Erfindung ziehen, im Tanz wie in der Inszenierung, die so jedoch nur mit den Mitteln der Filmtechnik funktioniert. Geister umgaukeln den Soldaten, die Szenen wechseln verschachtelt, nichts ist real, alles Trug und Vision. Aus dem Bühnenboden steigt der Teufel auf, quillt als Symbol das goldene Tuch; in ihm versinken Soldaten und andere Gestalten. Wie musikalisch Kylián mit der Musik und, besonders heikel, dem Text umgeht, ohne ihn pantomimisch zu doppeln, ist ebenso bestechend wie sein sprudelnder Einfallsreichtum als Choreograf: für die Soli von Soldat und Teufel, die Duos und Trios, bisweilen so skurril, als habe er sich an Tschechow oder Gogol heißgelaufen. Die wenigen Requisiten, wie Buch und Tisch, werden geradewegs zu virtuos gehandhabten Tanzpartnern. Dass nirgends der Fluss stoppt, verdankt sich auch den Tänzern des NDT, Aryeh Weiner als diabolisch lockendem Seelenkäufer, zuvörderst jedoch einem überragenden Nacho Duato: ganz naiver Junge, mit der technischen Bravour seines plastischen Körpers und dessen starker Ausdruckskraft. Ein bereits historischer Leckerbissen!


Jiří Kylián: „L'histoire du soldat“, Ballett in zwei Teilen, Nederlands Dans Theater 1988, Arthaus 2014

 

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