„Boys and Girls“ von Roy Assaf

„Boys and Girls“ von Roy Assaf

Neues über Jungs und Mädels?

Roy Assafs „Boys und Girls“ am Staatstheater Braunschweig

In seinem neuen Tanzstück zitiert Assaf ausführlich die 20er-Jahre. Besonders die Frauen in ihren roten Badeanzügen erinnern an langbeinige US-Revuen und Leni Riefenstahls ornamentale Körperkunst.

Braunschweig, 10/11/2014

Roy Assaf, einst Tänzer bei Emanuel Gat und Preisträger des Internationalen Choreografenwettbewerbs in Hannover, zitiert für sein Tanzstück „Girls and Boys“ ausführlich die 20er-Jahre. Besonders die Frauen in ihren roten Badeanzügen erinnern mit ihrem Ringelreihen Hand in Hand und synchroner Sportgymnastik an langbeinige US-Revuen und Leni Riefenstahls ornamentale Körperkunst. Passend ist die Bühne wie ein Laufsteg in den Zuschauerraum verlängert.

Die Jungs singen zunächst lässig von Liebe und stellen zu Mahlers verfremdetem Militärappell stilisierte Kampfsequenzen, die, wie in den 20ern beliebt, auch klassische Posen zitieren. Doch zusammen kommen die Jungs und Mädels nicht. Die Exerzitien laufen stets in getrennten Gruppen ab. Wenn Männer durch die Formation der Damen abgehen, tun sie es unbeteiligten Blickes. Jedes Geschlecht ist offenbar so sehr mit der eigenen lupenreinen ästhetischen Fassade beschäftigt, dass Kontakt und Annäherung unwichtig werden.

Auffällig ist, dass sich Bewegungsmuster der einen Gruppe später beim anderen Geschlecht wiederholen. Da laufen plötzlich auch die Männer Hand in Hand in Schlangenlinien und Kreisen, nur wird der Schritt dabei marschhaft. Und sie übernehmen auch die Bauch-Beine-Po-Aerobic der Damen, rauchen, küssen, lecken Eis synchron in der Chorus Line, nur eben eine Spur weniger geziert. Wenn die Herren im Sitzen vor- und rückwärts zählen, bleiben sie bei Sechs/Sex hängen und klopfen mit dem Fuß fordernd auf den Boden. Das machen die Damen eleganter.

Viel zu lange verweilt Assaf bei symmetrisch den Raum füllender Gymnastik, eine Art Trockensynchronschwimmen, die nur selten von einem kollektiven Schrei, von Verlangsamung oder Beschleunigung aufgebrochen wird. Erst gegen Ende klettern Jungs in die Posen eines Partners und geben ihnen so neuen Sinn, weil etwa die vor- und zurückschnellende Hand nun sein Gesicht trifft. Das wirkt in der Wiederholung wie ein feststeckender Film oder maschinengetriebene Schaufensterfiguren.

Die Tänzer machen das alles akrobatisch-präzise, aber was soll’s? Spannung würde erst entstehen, wenn auch die Identitäten, Ängste und Leidenschaften hinter der Körperertüchtigungsfassade thematisiert würden. Sind das wirklich alles noch gültige Muster aus dem kollektiven Körpergedächtnis undemokratischer Systeme? Assafs Stereotypen wirken zu sehr einer bestimmten Zeit verhaftet, als dass man sich in ihnen wiedererkennen würde. Und die Konstante eines alles beherrschenden Körperkults ist zu oberflächlich, erschöpft sich schnell. Was Jungs und Mädels und Menschen doch zusammentreibt, bleibt ausgespart.

Erst im Schlussbild gelingt Assaf die Vertiefung, wenn zu Schuberts Lied von ew’ger Ruh’ die Köpfe der Männer zwischen die gegrätschten Schenkel der liegenden Frauen geraten. So werden sie in einer Mischung aus umgekehrtem Geburtsvorgang und Fließband dem Tode zugeführt. Das Publikum feierte die über weite Strecken arg dekorativ-formelle Produktion teils heftig.

Wieder 16. November, 5., 25., 28. Dezember
 

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