Die Welt als Degas-Festival

„En Pointe 2015“: Marc Olich liefert den klassischsten aller Ballettkalender

Der russische Fotograf Marc Olich hat keine Hemmungen, „Giselle“, „Schwanensee“, ja den Spitzentanz überhaupt in himmlische Höhen zu heben. Seine Fotos fangen die Ballerinen von Sankt Petersburg und Paris so ein, wie einst Degas sie portraitierte.

Der russische Fotograf Marc Olich hat keine Hemmungen, „Giselle“, „Schwanensee“, ja den Spitzentanz überhaupt in himmlische Höhen zu heben. Seine Fotos fangen die Ballerinen von Sankt Petersburg und Paris so ein, wie einst Edgar Degas sie portraitierte: in den Tanz vertieft, der Welt enthoben in ein Universum aus Tüll, Schweiß, Parkettboden und Rampenlicht.

Dabei zeigt Olich die Materialien des Balletts bis ins Detail. Im März sieht der Betrachter die schwarzen und weißen Schwäne im Gespräch mit der Ballettdirektorin von oben – auf einem grauen Bühnenboden voller Spuren und Positionsmarkierungen. Im Juli-Motiv rückt sich eine junge Ballerina die Schuhbänder zurecht, während die Kamera gestochen scharf den Lurex ihrer Corsage, den Satin ihres Rocks, das Gel und die Klammern in ihrem Haar abwandert. Man meint den Gesichtspuder, das Deo, das Bühnenputzmittel zu riechen. Überhaupt Haare: Olich hat ein Faible dafür, lässt die Protagonistinnen sich mehrfach während der Bühnenprobe selbst frisieren, was eigentlich unrealistisch oder zumindest ungewöhnlich ist.
Was die Filter betrifft, geht Olich der Kitschfinger gelegentlich durch. Manchmal legt er rotes oder grünes Licht über die Motive, so dass etwa die Mai-Sylphide unglaublich rosig auf dem moosgrünen Boden strahlt. Andere Motive jagt er durch einen Schraffurfilter, wie die Wilis im Januar, oder versieht sie mit einem Ölmalfilter, so dass der Eindruck eines Filmplakats aus den 70er Jahren entsteht. Bei einer Tänzerin, die in Degas-Pose (ein Fuß im Tendu nach vorne, Arme hinter dem Rücken verschränkt) in den Kulissen wartet, funktioniert es dann wieder: Ein Weichzeichner fängt das Bühnenlicht ein und lässt es auf den Tutus reflektieren.

Bis Oktober muss der Betrachter auf Giselle warten! Man sieht die Königin der romantischen Rollen von oben im weißblauen Weinbauernkleid auf dem Boden sitzend, wie sie mit Schere und Garn ihre Schuhe bearbeitet. Ein Traum vom Ballett. Und völlig legal, denn was sollte Giselle anderes tun als ihre Tanzschuhe pflegen?

Marc Olich: „En Pointe. Spitzentanz. 2015“. Weingarten, 36 Euro

 

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