Draufhauen auf das, was kaputt ist

Johann Kresnik, der Gründervater des politischen Tanztheaters, wird 75

Den Spitznamen „Berserker“ hat er sich redlich verdient – zuletzt 2008 in einem Filmchen, in dem er nach der Abwicklung der von ihm geleiteten Tanzsparte in Bonn der angestauten Wut beim Demolieren von Schrottautos Luft verschaffte.

Bonn, 11/12/2014

Den Spitznamen „Berserker“ hat er sich redlich verdient – zuletzt 2008 in einem Filmchen, in dem er nach der Abwicklung der von ihm geleiteten Tanzsparte in Bonn der angestauten Wut beim Demolieren von Schrottautos Luft verschaffte. Draufhauen auf das, was kaputt ist: So hätte Johann Kresniks Lebensmotto heißen können.

Als überzeugtes Mitglied der kommunistischen Partei hatte der gebürtige Österreicher klare Feindbilder, nämlich Gott und die Welt. Jeder Zwang war ihm zuwider, und so arbeitete er sich in seinem umfangreichen Werk an gesellschaftlichen Zwängen ab, die durch opportunistische politische Übereinkünfte, religiöse Dogmen oder familiäre Verflechtungen entstehen. Dabei hat er seine Themen von beiden Seiten gefunden: aus der scharfsinnigen Dekonstruktion des gesellschaftlichen Ganzen oder aus der parteiischen Sicht auf den Einzelnen.

Johann Kresniks Karriere ist eine Ausnahmelaufbahn. Dem ehemaligen Startänzer des Kölner Tanzforums war der Bühnentanz bald zu seicht. Nach ersten choreografischen Schritten in Bremen leitete Johann Kresnik zehn Jahre lang (1979 bis 1989) die Tanzsparte in Heidelberg. Hier entwickelte er seine unverwechselbare Handschrift, hier verwendete er erstmals das künstlerische Etikett „Choreographisches Theater“. Bis zum Ende seiner Amtszeit in Bonn war Kresnik immer fest an Theaterhäusern engagiert – ein Zeichen dafür, wie sehr die Institution Theater Freigeister schätzt und braucht.

Die Ära Kresnik ist in der Neckarstadt unvergessen. Zwar erschreckte die Intensität der von ihm gefundenen Bilder manches heimische Abonnement-Publikum, dafür füllten sich - etwa bei „Macbeth“ - die Ränge mit überregionalen Besuchern: Heidelberg war plötzlich zum Mekka des zeitgenössischen Tanzes geworden. Hier entstanden die allererste Biografie („Silvia Plath“) oder „Familienbande“ nach einem Libretto des bekannten Heidelberger Familientherapeuten Helm Stierlin. In diesem Stück wird auf drastische Weise das Verschweigen und Verdrängen der Nazi-Vergangenheit in einer Familie ausgeleuchtet, und Kresnik war stets stolz darauf, die öffentliche Diskussion um dieses heikle Thema mit angekurbelt zu haben.

Politische Ambitionen und praktische Theaterarbeit waren für ihn stets nur die beiden Seiten derselben Medaille. Für einen wie ihn, der nach dem Sternmarsch auf Bonn wegen der Notstandsgesetze schon mal kurzzeitig hinter Gittern landete, war der Staatsapparat stets verdächtig. Seine Sympathie galt den Ausgegrenzten, den Opfern, den Selbstmördern, den Tabuisierten. Daher hat er gleich zwei Stücke über RAF Terroristinnen herausgebracht: Ulrike Meinhof und Gudrun Enßlin. Auch in Heidelberg hat sich Johann Kresnik lokalpolitisch engagiert und ist für eine adäquate Aufbereitung der die Werke geistesgestörter Künstler umfassenden „Sammlung Prinzhorn“ eingetreten. 2012 kehrte er mit einem Stück zum zehnjährigen öffentlichen Bestehen der Sammlung noch einmal an seine frühere Wirkungsstätte zurück.

Felsenfest glaubte er an die Katharsis des Theaterpublikums durch einen heilsamen Schock, den er wieder und wieder hervorzukitzeln versuchte: mit Hilfe spektakulärer, dezidiert jedes ästhetische Tabu brechender Bilder. Seine Stilmittel waren Gewalt, Ekel, Blasphemie, Provokation, Sexualität und Lautstärke, seine Hilfsmittel eimerweise Bühnenblut, Fett, rohes Fleisch und nackte Körper jeden Alters. Dass es freilich immer schwerer wurde, das Publikum sozusagen von den bequemen Theatersesseln zu reißen, blieb einem Bühnenprofi wie ihm nicht verborgen. Als er 1998 eingeladen wurde, im Mannheimer Nationaltheater ein Stück zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht zu inszenieren, gehörte eine lautstark im Namen des Publikums gegen die Zumutungen auf der Bühne protestierende Schauspielerin zum Stück.

Um neue Felder der provokativen Ehre war er freilich nicht verlegen. Dass seine Biografie von „Hannelore Kohl“ ihm Zwist mit der CDU eingebracht hat, registrierte er mit Genugtuung. Und trotz aller Sperrigkeit ist der selbernannte Theaterwüterich doch auch stolz darauf, wie oft seine Stücke als Kulturexportartikel genutzt worden sind.

 

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