Martin Hansen und Ania Nowak „A Queer Kind of Evidence“
Martin Hansen und Ania Nowak „A Queer Kind of Evidence“

Performances zum Lob des Unterkörpers

Halbzeit bei den Tanztagen in den Sophiensaelen

Ginge es hier um Eiskunstlauf, würde man zumindest vom ersten Teil der Tanztage von einer bedenklich schwachen Kür sprechen. Immerhin hat Neukuratorin Anna Mülter eingehalten, was sie versprochen hat.

Berlin, 16/01/2015

Ginge es hier um Eiskunstlauf, würde man zumindest vom ersten Teil der Tanztage in den Sophiensaelen von einer bedenklich schwachen Kür sprechen. Immerhin hat Neukuratorin Anna Mülter eingehalten, was sie versprochen hat: der Performance bei dem der Nachwuchsszene gewidmeten, deshalb entsprechend wichtigen Festival Tür und Tor weit zu öffnen. Den Tanz hat sie hierbei gründlich ausgetrieben: die Möglichkeit und Fähigkeit, allein mit dem Körper, seinen bewegungstechnischen Gegebenheiten und seinem Ausdrucksvermögen Fragen zum Menschen in seiner Zeit zu formulieren und nach Antworten zu suchen. Performance erobert schon den Eintrittsabend der Tanztage. Dabei beginnt „Palais idéal“ nicht übel.

In einem vollständig vernebelten Raum mit atmosphärischem Farblicht agieren unsichtbar Miriam Horwitz und Anne-Mareike Hess. Als der Dunst sich legt, addieren sich den Geräuschen optisch erkennbare Vorgänge. Mit gewaltigem Getöse demontiert das Duo in einem Akt diffuser Umgestaltung der Spielfläche einen Berg verschiedener Gegenstände. Eine Materialschlacht ohne Höhepunkte und finale Einsichten, die eine Landschaft der Zerstörung hinterlässt. Artikuliert sich so Freiheit? In eine ähnliche Kerbe schlagen, wenngleich radikaler, Claire Vivianne Sobottke und Tian Rotteveel. Ihr Duett „Golden Game“ forscht der Chance nach, in die Unbewusstheit und scheinbare Grenzenlosigkeit der Kinderzeit zurückzukehren. Wie ein auch akustischer Comic fällt aus, was sie an Lallen, Tierlauten, bisweilen Nacktheit auffahren, um aus dem auszubrechen, was der Zuschauer erwarten könnte und jede Konformität leugnet. Weil die beiden Akteure jedoch keine sinnträchtigen Bilder offerieren, bleibt ihr 50-Minuten-Aufbegehren hilflos und arg naiv.

Für eine zweite Linie in Mülters Tanztage-Konzept stehen viele der weiteren Beiträge. Sie präsentieren auf vielfältige Weise eine queere Haltung zur Welt, verstanden als Ausdruck auch von Vielfalt in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Als typisch hierfür darf Martin Hansens und Ania Nowaks „A queer kind of evidence“ gelten. Telling a story is an act of love, warnt Hansen gleich zu Beginn. Was dann als Story behauptet wird, die Geschichte vom langsamen Sterben der US-Sängerin Karen Carpenter an Anorexie, liest sich zwar im Begleittext. Auf der Szene geht es eine knappe, jeweils in Zähleinheiten zerlegte Stunde lang nur um masturbatorische Vorgänge mit Requisiten wie Mikrofonständern, Verstärkern, Kabeln, die ein Bühnenact erfordert: die Show als ein Liebesakt. Beckenbodengestärkt und hochroten Kopfes beenden Hansen und seine Co-Aktivistin eine Performance der falschen Stoßrichtung, die nichts mitteilt als koitale Erfahrungen aus dem Heimbetrieb. Dieser platt uniforme Sexexzess ist umso bedauerlicher, weil Hansen, vom Fachmagazin „tanz“ 2012 rechtens zum Tänzer des Jahres gekürt, als eine der großen Hoffnungen im zeitgenössischen Tanz gehandelt wird. Seine Entwicklung hin zu einem sinnstiftenden Choreografen ist noch in Frage.

Zwei Soli verliehen jenem ersten Teil der Tanztage einen Hauch von Innovation und intelligenter Auseinandersetzung. Das eine verdankt sich Venuri Perera, die in „Traitriot“ zusammenführt, was sie studiert hat: den ethnischen Kandiyan Dance aus ihrer Heimat Sri Lanka und die Moderne am Trinity Laban Conservatory in London. Sie steht so in der weltweit fruchtbaren Tradition jener ethnisch geschulten Tänzer, die zeitgenössische Elemente der westlichen Hemisphäre einbeziehen und zu eigenständigen, national geprägten Bewegungskonzepten finden. Ihr 20 Minuten kurzes Solo weist die Zuschauer immer wieder an, die Augen zu schließen; beim Öffnen hat sie eine andere Raumstellung inne, was dem Stück eine filmschnittartige Struktur gibt. Pereras Weg gilt es zu beobachten wie auch den von Lea Moro. Sie wagt es, Strawinskis epochalen „Sacre du printemps“ im Alleingang zu gestalten, indem sie aus Nijinskys Originalchoreografie Teile zitiert, alle Rollen übernimmt und so das Gesamtwerk zu einem Extrakt reduziert. Wie sie den Songtext von „When Death Calls“ der Rockband Black Sabbath düster und laut eindrücklich nachspricht, hebt sie das archaische Opfersterben im „Sacre“ überzeugend auf die Stufe eines dunklen Rituals heutiger Zeit, agil, raumfüllend, auch mit einer Prise Ironie.

Noch bis 18.1., Sopiensaele, Berlin

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