Urs Jandls „Cinderella“ in München

Urs Jandls „Cinderella“ in München

Erfolge auch ohne Subvention

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Wie man weiß, gibt es in München eine durchaus gute Freie Szene, die bereits existierte, als ich nach München kam beziehungsweise als ich in Ulm als Ballettchef engagiert war. Das war 1973.

München, 20/01/2015

Wie man weiß, gibt es in München eine durchaus gute Freie Szene, die bereits existierte, als ich nach München kam beziehungsweise als ich in Ulm als Ballettchef engagiert war. Das war 1973. Vorreiter war damals Jessica Iwanson, die sich bei mir einen Tänzer für ihre Produktion „Chaplin“ auslieh und in deren Vorstellung ich selbst mit Vergnügen einsprang, als einer ihrer Tänzer krank wurde. Jessica hat vor kurzem einen runden Geburtstag gefeiert. Nach wie vor arbeitet sie unermüdlich in ihrer Schule und choreografiert, dass es eine Freude ist.

Walter Heun sollte ich bei dieser Gelegenheit nicht vergessen, denn er hat die Münchner Szene von Anfang an stark aufgemischt und viel dazu beigetragen, dass Stadt und Staat diese finanziell unterstützten und dies auch eifrig weiter tun, obwohl Heun mittlerweile vor allem als Intendant des Tanzquartiers in Wien dazu beiträgt, dass die Welt in die österreichische Hauptstadt blickt.

Selbst August Everding als Intendant der Münchner Staatsoper, an die er 1977 wechselte, sah sich genötigt ein Symposium einzuberufen mit dem Titel: „Ist München eine Ballettstadt?“ Meine Antwort war damals: „Jede Stadt ist eine Ballettstadt, man muss ihr nur eine Chance geben.“ So wie man eben der Musik in jeder Stadt eine Möglichkeit durch eine Musikschule gibt. Die Musik ist in unserem Kulturverständnis eine nicht wegzudenkende Säule, ohne die unsere kulturelle Bildung arm aussähe. Danach kommen die Dichter und Denker, mit denen wir im Schulunterricht mehr oder weniger konfrontiert werden. Aber der Tanz spielt erst in jüngster Zeit eine angemessen große Rolle. Nach dem Krieg war der deutsche Ausdruckstanz verpönt und aus welchem Grunde auch immer, konnte er nicht wieder da anknüpfen, wo er vor der Zerstörung der Theater Triumphe gefeiert hatte. In München bemühte sich in den 60er Jahren Heinz Rosen, ein Wigman- und Jooss-Tänzer, als Ballettchef der Staatsoper dem ‚Zeitgeist‘ entgegen zu kommen – sowohl mit „Giselle“ als auch mit Jean Cocteaus Uraufführung von „Die Dame und das Einhorn“ neben einer Erstaufführung des „Grünen Tisch“ von Kurt Jooss – um bei einem klassisch orientierten Ensemble eine breite Basis zu schaffen.

Warum ich dahin abgerutscht bin in meiner Rückblende? Ganz einfach: Das Pendel ist nicht erst seit Pina Bausch, aber erst recht mit ihr nach der anderen Seite ausgeschlagen. Man muss sich heute bemühen, dass die Tradition nicht wieder vergessen wird und das klassisch-akademische Ballett nicht verloren geht. Dafür gibt es in München glücklicherweise eine unserer besten Balletthochschulen, die nun unter Jan Broeckx weiter Nachwuchs, der sich überall sehen lassen kann, hervorbringt.

Nachdem das Gärtnerplatztheater in der Intendanz von Claus Schulz offenbar ganz der Tradition, nicht nur im Tanz, den Rücken kehrte, hatten einige Spitzentänzer das Gefühl, man müsse dem klassischen Ballett auch weiterhin die Stange halten, im wahrsten Sinne des Wortes. Vorneweg tat dies die Ballerina Rosina Kovacs, als sie noch an der Staatsoper die Rolle einer Sophia Loren ausfüllte – der Unterschied zum Filmstar war lediglich, dass sie das auch in Spitzenschuhen konnte. Nach ihrer aktiven Karriere, die sie mit der Geburt einer Tochter krönte, hat sie sich auf die Fahne geschrieben, die Repertoirestücke – die von obskuren Ensembles aus Russland, Paris und Rumänien getanzt im Gasteig großen Zulauf fanden, wie man es kaum glauben mag – mit ihrer eigenen Gruppe „Ballet Classique“ auf kleineren Bühnen zum Erfolg zu verhelfen.

Ich muss gestehen, dass ich sehr lange nicht zu diesen Vorstellungen nach Unterföhring, Germering und all den kleineren Städten rund um München kam, weil ich mich vor dem Verlust an Qualität, die man bei solchen Meisterwerken erwartet, fürchtete. Jetzt bin ich aber endlich hingegangen und wäre fast nicht reingekommen, so groß war der Andrang zu ihrer Carmen-Version, die mich an eine meiner Choreografien erinnerte, gemacht für eine Freilichtbühne mit Rosina in der Titelrolle und zur Musik von Schtschedrin. Seit jenen Tagen bin ich mit ihm und seiner Frau Maja Plissezkaja befreundet. Ja, und sie leben auch noch in München, ganz versteckt und zurückgezogen. Die Vorstellung jedenfalls – und das ist mir sehr wichtig zu sagen – fand in der Zeit statt, ehe ich diesen Blog anfing. Sie war makellos und hinreißend getanzt von Tänzern, die in der Freien Szene auftreten und mit drei wunderbaren Gästen vom Staatsballett in den Hauptrollen. Ich hätte nicht gedacht, dass man auf der kleinen Bühne in Unterhaching das Publikum so begeistern könnte. Meine Hochachtung.

Dann gibt es da noch das Tanzforum, das seit Jahren mit seinem Leiter und Choreografen Eckard Paesler eine Produktion pro Jahr für ähnliche Plätze erarbeitet: in diesem Fall im „Woff-Ferrari-Haus“ in Ottobrunn das Stück „Cinderella“ mit einer gekürzten Aufnahme von Prokofievs Musik. Er orientiert sich an der britischen Tradition, die beiden Stiefschwestern mit Männern in Travestie zu besetzen, was natürlich dem Publikum nicht nur bei Charlies Tante großes Vergnügen bereitet – ich frage mich immer wieder, warum das so gut funktioniert. Das Beste an dieser Inszenierung aber ist, dass man nicht rätseln muss, inwieweit es denn mit der Märchenvorlage übereinstimmt, denn die Tauben, die ja eine Hauptrolle zum Happy End spielen, sind tatsächlich da und helfen dem geschundenen Aschenputtel dabei, ihr Glück zu finden.

Der Künstler, der das schafft, heißt Urs Jandl, der nach einem Studium der Theaterwissenschaft und einem Intermezzo in der Leitung der Germeringer Stadthalle nun zu seinem größten Anliegen gefunden hat: Er zaubert und bezaubert mit Schwarzlicht und herrlichen kleinen Geschöpfen des Schwarzen Theaters. Diese Köstlichkeit erinnerte mich übrigens an „Alice im Wunderland“, das vor einigen Jahren in Augsburg unter der Leitung von Robert Conn und mit Hilfe der famosen Augsburger Puppenkiste inszeniert wurde. Ein großer Erfolg, so war es auch in Ottobrunn, und das ist gut so. Es freut mich, dass sich Leute mit Phantasie noch mit Dingen beschäftigen, die märchenhaft schön sind und die ohne Subvention doch ihren Weg zum Erfolg finden.

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