TANZ BREMEN: „Shake it out“ von CUBe/Christian Ubl

TANZ BREMEN: „Shake it out“ von CUBe/Christian Ubl

Global und lokal

Am Wochenende eröffnete das Festival TANZ Bremen

Das von Sabine Gehm kuratierte Festival für internationalen zeitgenössischen Tanz bietet schon an den ersten zwei Tagen ein vielfältiges Programm zum Teilhaben und Teilnehmen – so das diesjährige Motto.

Bremen, 09/02/2015

Am Freitagnachmittag treffen sich auf dem Goetheplatz vor dem Bremer Theater die ersten Besucher und warten auf den Auftakt des Festivals TANZ Bremen, das nach einjähriger Verschiebung und auch mit gekürzten finanziellen Mittel wieder stattfinden kann. Trotz beißender Kälte und aufziehendem Nebel wird die Zuschauergruppe immer größer. Auch zufällig vorbeikommende Passanten, die zwischen der Bremer Innenstadt und der Bremer Kulturmeile (dem „Viertel“) unterwegs sind, bleiben stehen. Denn allzu oft sieht man Outdoor-Performances in der Wesermetropole nicht. Und mit „Infaltable Costumes with Video Projection 1“ haben die Stelzenformationen Oakleaf Creativity (Hamburg) und Stelzen-Art (Bremen) einen echten Eye-Catcher geschaffen. Wie Wesen aus einer anderen Welt kommen die vier Künstler mit ihren überdimensionierten weißen Luftkissen-Kostümen daher. Angestrahlt von bunten Video-Projektionen des Bremer Künstlerkollektivs LichtZeitRaumKlang entstehen Traumgebilde, die sich in ständiger Bewegung befinden. Im Hintergrund fährt ab und zu eine Straßenbahn vorbei. Mystisch unrealistisch und zugleich mitten im alltäglichen Straßengeschehen tänzeln die bunten Figuren und stellen damit nicht nur eine visuell schöne, sondern auch eine programmatisch passende Festivaleröffnung dar. Denn nicht nur international renommierte Choreografen wie Marcos Morau und Israel Galván werden in der nächsten Woche zu sehen sein, auch die Bremer Tanzszene wird sich unter anderem mit Alexandra Morales, tanz_bar und DE LooPERS präsentieren. Und nicht zuletzt sollen alle Bremer an diesem Festival ‚Teilnehmen/Teilhaben‛.

„Edvard“ ist Marcos Moraus Choreografie über Edvard Munch und Tanztheater auf höchstem Niveau. Umschlossen von einem durchsichtigen, weißen Chiffonvorhang, der wie eine undurchdringliche Membran wirkt, eröffnet Morau Einblicke in das Seelenleben von Munch. Irgendwo zwischen spacigem Labor und steriler Klinik bewegt sich die Bühne (Enric Planas) im bläulich-dumpfen Lichtdesign von Albert Faura. Und doch enthält diese Choreografie so viel Menschliches. Wird doch schon der Sound (Louis Miguel Cobo) dominiert vom Rhythmus des menschlichen Herzschlags. Ab und an wird die geräuschhaft dumpfe Klangkulisse aufgebrochen von den hellen und klaren Tönen eines spätromantischen Klavierstücks. Das hin- und hergerissen sein zwischen emotionaler Kälte und Ausdrucksnot ist ein klarer Verweis auf die Arbeiten Munchs als Vorreiter des Expressionismus und seine von Krankheit, Tod und Verlust geprägte Biografie. Roboterhafte Bewegungen der Extremitäten, werden in immer wieder überraschende Weichheit des Torsos überführt. Die meisten Bewegungen entstehen kausal, aus Berührungen zwischen den Tänzern. Obwohl ein Bewegungsfluss aufkommt, wird jedoch kaum eine Sequenz zu Ende geführt. Morau verlangt von seinen Tänzern eine überaus hohe technische Präzision. Diese Herausforderung meistern die Tänzer der norwegischen Kompagnie Carte Blanche. Ein Tanzabend, der die Erwartungen an die nächsten Tage hoch ansetzt.

Mit CUBe/Christian Ubls „Shake it out“ als zweiter Deutschlandpremiere unterläuft die Festivalkonzeption den potentiellen Vergleich jedoch gekonnt. Denn so ganz anders funktioniert dieses Stück. Im Kleinen Haus des Bremer Theaters ist nichts zu sehen außer ein weißer Tanzteppich, schwarze Wände, ein Schlagzeug (Stéphane Dunan Battandier) und ein unauffälliges Mischpult (Musik: Fabrice Cattalano). Das Programmheft zeigt Tänzer in Lederhosen und Europaflaggen. Der Text spricht von Volkstanzelementen. Und mehr braucht es auch tatsächlich nicht, um eine einstündige Lektion in europäischer Geschichte zu erteilen. Was im ersten Moment nach langweiligem Geschichtsunterricht klingen mag, erweist sich jedoch als eine unterhaltsame Reise in den europäischen Tanzalltag der letzten 50 Jahre. Volkstänze unterschiedlicher Regionen, Gesellschaftstänze und Diskoformationen erzählen von der Entstehung Europas, seinem Potential, aber auch von Identitätskonflikten und Gewalt. Strenge Tanzformationen werden abgelöst von zunehmend freieren Bewegungen, die ihren Höhepunkt in einem gemeinsamen Bad im Flaggen-Swimmingpool finden. Die Tänzer der Kompanie CUBe tanzen wunderbar selbstverständlich, unkompliziert und dabei technisch hoch versiert. Sie treffen immer wieder aufeinander, bilden skulpturale Gebilde. Cristian Ubl schafft eine Reihe von aufeinanderfolgenden Szenen, die mit klaren Bildern arbeiten. Er wertet nicht, er hinterfragt nicht, er zeigt. So entstehen Stimmungsbilder, die als Auslöser eigener Erinnerungen und Emotionen dienen können und jeden Zuschauer ein Stück weit seiner eigenen (europäischen) Geschichte überlassen. Auch wenn zwischenzeitlich deutliche Längen zu spüren sind, ist das Publikum am Ende begeistert und folgt Ubl beim darauffolgenden „Folksbal“ ohne große Scheu auf die Bühne, um im Duktus einer Tanzschulstunde nun selbst aktiv zu werden. Unter einer großen Diskokugel, zu lateinamerikanischen Schlagern finden japanischer Volkstanz, Chachacha und Disko zueinander. Das Motto Teilnehmen wird hier wörtlich genommen und verbreitet eine Menge Spaß.

Nicht so vergnüglich war dagegen die Podiumsdiskussion „Vom Wert des Tanzes“ in der Schwankhalle. In einem eintägigen Workshop haben sich auf Einladung des Dachverbandes Tanz in Deutschland zahlreiche Tanzschaffende aus Bremen mit der Situation des Tanzes in ihrer Stadt auseinandergesetzt, Probleme aufgezeigt und Lösungsvorschläge gesucht. Die Arbeit des Tages wird nun öffentlich präsentiert und einem Podium, bestehend aus Vertretern der Bremer Kulturpolitik zur Diskussion gestellt. Als Themen dominieren fehlende Sichtbarkeit und Koordinierung sowie unzureichende Förderungen. Ein Tanzbüro, runde Tische und gebündelte Internetpräsenzen sind nur einige der vielen Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Eine Diskussion kommt leider nicht auf. Während sich die Politik in allgemeine Phrasen hüllt und die freie Szene dazu auffordert, sich besser und vor allem lauter zu artikulieren, schweigt der Tanz fast vollständig. Am Thema dürfte das nicht liegen und vermutlich auch nicht an mangelndem Interesse. Vielmehr scheint hier die Kommunikation nicht zu funktionieren, scheinen Politik und Tanz zu weit voneinander entfernt zu sein. Was es wohl braucht, ist nicht eine größere Vielfalt an Themen, eine höhere gesellschaftliche Relevanz oder mehr Kreativität und Einsatzbereitschaft von Seiten der Beteiligten, sondern vielleicht einfach eine Lobby. Eine Lobby, die vermittelnd zwischen Tanzschaffenden und Politik agiert, die beide Sprachen spricht, übersetzt und verhandelt.

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