Irena Tomazin „The taste of Silence Always Resonstes“ ist die Gewinnerin des diesjährigen Gibanica-Festivals

Irena Tomazin „The taste of Silence Always Resonstes“ ist die Gewinnerin des diesjährigen Gibanica-Festivals

Tiefgang – Vielfalt – Höhenflug

Das 7. Gibanica-Festival in Slowenien wirkt unangestrengt souverän.

Alle zwei Jahre steht das zeitgenössische slowenische Tanz- und Performanceschaffen im regionalen und internationalen Fokus. Heuer verkürzten ökonomische Gegebenheiten Festivaldauer und Stückanzahl.

Ljubljana, 23/02/2015

Alle zwei Jahre steht das zeitgenössische slowenische Tanz- und Performanceschaffen im regionalen und internationalen Fokus. Heuer präsentierte das Gibanica-Festival von 18. bis 21. Februar zwölf ausgewählte Arbeiten der vergangenen Saisonen. Ökonomische Gegebenheiten verkürzten zuletzt Festivaldauer und Stückanzahl, was die Stimmung der Tanzcommunity drückte, nicht jedoch deren Professionalität und kreative Schaffenskraft.

Erstmalig würdigte ein Symposium die früh verstorbene Tänzerin und Choreografin Ksenija Hribar (1938–1999) als Schlüsselfigur des zeitgenössischen Tanzes in Slowenien. Hribar tanzte im legendären London Contemporary Dance Theatre und kehrte Ende der 1970-er Jahre nach Ljubljana zurück, um 1985 mit jungen Talenten aus Ballett, Gesellschaftstanz und Sport – zeitgenössische Tanzausbildungen existierte damals noch kaum – das Dance Theatre Ljubljana (PTL) zu gründen, aus dessen Ensemble sich die erste Generation der slowenischen Tanzschaffenden entwickeln sollte. Eine der seit damals unermüdlich tätigen Mitstreiterinnen, die Tänzerin und Choreografin Mateja Bučar, erhielt dafür heuer den renommierten Ksenija-Hribar-Award. Doch zurück zum Gibanica-Festival.

Anhand von nur einem Duzend Produktionen lassen sich naturgemäß keine generellen Rückschlüsse auf das aktuelle Tanzschaffen eines Landes ziehen. Wie wertschätzend performative und tänzerische Formate mit divergierenden künstlerischen Handschriften in Slowenien koexistieren, fiel dennoch positiv auf. Augenfällig war außerdem der hohe Anteil an sprachlastigen Stücken, deren unterschiedliche Inszenierungsstrategien es herausfordern, den Blick auf die Zweckdienlichkeit von Verbalem zu lenken.

Unter dieser Prämisse wirkten sowohl Andreja Rauch Podrzavniks „Time Body Trio“ über Zeit und Körper im Raum als auch Jurij Konjars „For Juliano Mer-Khamis“ über das Nomadendasein zeitgenössischer Tanzschaffender seltsam verschult, vermutlich weil sich die verbalen Erklärungen nicht konsistent aus dem Tanz entwickelten, sondern wie ein Fremdkörper daneben standen.

Dass auch die partizipativen Arbeiten „Still“ von Martin Kilvady und (erneut) Jurij Konjar oder „After this, therefore because of this“ von Sebastijan Geč, Milan Loviška, Otto Krause nur schleppend funktionieren, dürfte andere Ursachen haben. Obwohl „Still“ ausdrücklich Freiräume zum Austausch mit dem Publikum öffnet, wurden diese möglicherweise aus Angst sich bloßzustellen kaum genutzt. Die Performance „After this, therefore because of this“ als Paraphrase auf das Sesselspiel „Eine Reise nach Jerusalem“ konzipiert scheitert wohl eher an seiner Positionierung als allerletztes Stück des Festivals. Zum lustvollen Fangenspiel war das Publikum schlicht zu erschöpft.

Hingegen gelingt dort der Spagat zwischen Tanz und Sprache scheinbar mühelos, wo sich Verbales mit bildgewaltiger Theatralität verbindet. So setzt Maja Delak in „What if“ über ihre Identität als alternde Tänzerin in einem alternden Körper ein punktgenaues Statement zwischen radikaler persönlicher Aussage und Kunst. Im Duett „Today is Tomorrow’s Yesterday“ von Bara Kolenc, Teja Reba und Loup Abramovici legen bewegte Tableaux ein vibrierendes Assoziationsfeld über die gesprochenen Dialoge zu Idealen, Frau-Mann-Beziehung, Sterben und Tod. Noch sinnlicher kratzen Leja Jurišić und (erneut) Teja Reba in „The Second Freedom“ die Kurve. Trotz einer slowenischen Textmasse vor allem am Anfang des Stückes, deren Übersetzung am Bildschirm schon aus Gründen der Sprachgeschwindigkeit nicht nachvollziehbar ist, magnetisieren die beiden Performerinnen ihr Publikum. Ihre feministisch-trashige Show aus lustvoller Anmache, Posieren, Urinieren, Philosophieren, Gewalt und Ermattung fährt auch dann ein, wenn man nicht jedes Wort versteht.

In Milan Tomášiks Quintett „The Hunting Season“ sprach man nur gelegentlich und selbst das wäre nicht nötig gewesen. Tomášiks komplexer Choreografie zum Concerto Grosso von Vladimir Godár spielt virtuos mit dem Genre des höfischen Barocktanzes und den Lazzi der Commedia dell’arte. Energiegeladen, fröhlich und unbekümmert gewinnt das blutjunge Ensemble dem Anschleichen, Lauern und beherztem Zupacken immer wieder neue Facetten ab.

Maja Kalafatić und Maria de Dueñas López kommunizieren in der poetischen Tanzminiatur „Betwixt“ ausschließlich über Körperposen, die sie zueinander in fließende Verhältnisse setzen. Ebenfalls sprachlos, aber begleitet von den wilden Live-Rhythmen des Schlagzeugers Marjan Stani tanzt sich Matej Kejžar in „Hit“ in einen tranceähnlichen Zustand. „Hit“ als physischer Akt fernab von Ästhetik und Psychologie entfaltet so eine eigenwillige Archaik voller Schweiß, Keuchen und Bewegung. Ein kleines Meisterstück stiller Absurdität gelingt Barbara Kanc mit „Searching Untitled“. Das scheinbar sinnlose, zeitlupenartige Verstellen von Objekten im Zuhause eines Bären lädt unaufgeregt zum Philosophieren über Fiktion und Wirklichkeit ein und hinterlässt das Gefühl, etwas vom Leben verstanden zu haben, ohne genau zu wissen was.

Als beste Produktion des Gibanica-Festivals wurde heuer sowohl vom Publikum als auch von der Fachjury Irena Tomažins „The Taste of Silence Always Resonates“ ausgezeichnet. Tomažins fein zisseltierte Choreografie von Stimme und Gesang scheint Schallwellen im und um den menschlichen Resonanzkörper zu materialisieren. Auch so funktioniert Sprache. Faszinierend.

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