Ursina Tossis „Excellent Birds“ im Harburger Bahnhof

Ursina Tossis „Excellent Birds“ im Harburger Bahnhof

Seh sie fliegen

„Excellent Birds“ der Choreografin Ursina Tossi im Kunstverein Harburger Bahnhof

Die Performerinnen liegen im Schein bläulicher Leuchtstoffröhren auf dem Boden. Ausschließlich mit alten Pilotenbrillen ausgestattet, die auch 3D Brillen sein könnten, sind die Körper zur Aktivierung bereit. Operation One, das Spiel beginnt.

Hamburg, 24/02/2015

Choreografie, Stimme, Installation - die Zusammenarbeit der Choreografin und Tänzerin Ursina Tossi, der Dramaturgin und Performerin Anja Winterhalter und der bildenden Künstlerin Saskia Bannasch fügt sich atmosphärisch wie selbstverständlich in die Räumlichkeiten des ehemaligen Wartesaals, in dem heute der Hamburger Kunstverein residiert. Der eindrucksvolle Saal mit den vertäfelten Decken, der sich direkt über den Gleisen des Harburger Bahnhofs befindet, reiht sich damit in die Linie interessanter Spielorte der Choreografin ein, die schon den ehemaligen Bunker und derzeitigen Club „Übel & Gefährlich“ tänzerisch erschloss.

Wie schon bei ihrem Stück „Your Outside is in and your inside is out“, welches demnächst noch einmal im Rahmen des „Hauptsache frei Festivals“ in Hamburg zu sehen sein wird, beginnt der Abend mit einer Soundeinlage von Johannes Miethke. Man wird hineingezogen in eine Soundebene, die unsere Realität in Frage stellt und eine virtuelle Parallelwelt erschafft. „No expectations, no money, no gender representation, no flow, no dance, no naked skin....“ A NO to nearly everything lautet die einleitende Devise und macht uns mit den Spielregeln des Abends vertraut. „Excellent Birds“ ist eine Choreografie über den Entwurf eines Mediums zur Rettung von Körperintelligenz über das menschliche Denken nach einer Sonnenexplosion hinaus.

Ein Science Fiction Gedankenexperiment – angelehnt an den französischen Philosophen und Literaturtheoretiker Jean-François Lyotard. Lyotard sah in den sich entwickelnden technischen Mitteln die Möglichkeit, den Menschen außerhalb eines „Bildes“ desselben festzuschreiben, und fürchtete zugleich den Verlust seiner „Menschlichkeit“. „I see pictures of people“ heißt die sich immer wiederholende Zeile in dem Song „Excellent Birds“ von Laurie Anderson und Peter Gabriel. Alles nur Erinnerung. Was bleibt nach einem außerplanetarem Neubeginn? Kann eine künstliche Vogelintelligenz ein Körpergedächtnis und eine Art von Kommunikation retten? „Excellent Birds“ schlägt ein Spiel vor, eine Computersimulation, in der es um nichts mehr und doch noch um alles geht, was bleibt. Reduziert und aufgewertet, übertragen und weitergetragen werden Gesten zu Cues, Sounds zur Verifizierung, Schwarmbewegungen zum Überleben. Sprache und damit die Kommunikation als größter bewegter Speicher der Menschheit wird mit Schwärmen einer Vogelintelligenz auf die Probe gestellt.

Die zwei Körper der Performerinnen liegen im Schein bläulicher Leuchtstoffröhren auf dem Boden. Das Lichtdesign der Künstlerin Saskia Bannasch unterstützt den installativen und virtuellen Charakter des Abends. Ausschließlich mit alten Pilotenbrillen ausgestattet, die auch 3D Brillen sein könnten, sind die Körper zur Aktivierung bereit. Operation One, es kann losgehen, das Spiel beginnt. Gesten werden aktiviert, Reaktionen vom System gefordert und erste zirkuläre Schwingbewegung mit Leuchtstoffröhren erzeugt. Danach beginnt Tossi mit vogelartigen Orientierungsbewegungen, während sich Anja Winterhalter eine flügelartige Konstruktion aus den leuchtenden Stäben erbaut. Der virtuelle Raum entsteht vor unseren Augen. Operation Two, der Soundtest, die Kommunikation wird ausprobiert und nach einigen Fehlschlägen vom System akzeptiert. Plötzlich öffnen sich die Seitentüren links vom Zuschauer. Inmitten eines Haufens bereits gefalteter weißer Papiervögel, sitzt Saskia Bannasch im warmen Licht und heller Kleidung und faltet in konzentrierter Ruhe einen Papiervogel nach dem anderen. Spätestens mit diesem eindrucksstarken Bild entrückt man der unmittelbaren Bahnhofswirklichkeit. Der fertig gefaltete Vogel wird kurz getestet und dann auf eine schwarze Rutschbahn entlassen, auf dem er nach unten gleitet und inmitten seines Vogelschwarms zum Stillstand kommt. Mit diesem Einschnitt in das Stück wird der gesamte Rahmen des Experiments nochmal auf den Punkt gebracht. Die Mechanik getestet, die Bewegung reduziert auf ihre Möglichkeiten durch die Form, das Körpergedächtnis, das von außen auf einen eingeschrieben wird. Die Körperintelligenz selbst wird zur Form und auch wieder zu ihrer Auflösung. Der Transfer von Bewegung passiert mit Körper und mit Stimmen im Raum – Was ist unser Einsatz bei diesem Spiel? Wie überlebt man im Sammeln von Bonuspunkten, im Auf- und Absteigen von Levels?

„Du, Spieler_in des Spiels. Betrete das Fligh-High-System und erweitere dein Territorium. Speicher deine Exzellenz! Gratuliere! Du bist die Sieger_in! Du bist die Nummer 1! Willkommen zum nächsten Level!“

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