Riki von Falken in den Uferstudios Berlin
Riki von Falken in den Uferstudios Berlin

Mit den Widersprüchen des Lebens leben

Riki von Falken in den Uferstudios Berlin

Seit 35 Jahren ist die Choreografin der Freien Berliner Tanzszene treu. Mit ihrem Solo „One more than one“ rekonstruiert sie ein Stück Trauerarbeit. Es entstand 2003 als Abschluss einer Triologie über die Krankheit und den Tod ihres Mannes.

Berlin, 03/03/2015

Riki von Falken steht auf der blendend weißen Bühne, die Füße dicht nebeneinandergesetzt. Ihre Arme schwingen seitlich am Körper, der im kreischend monotonen Rhythmus der Musik um sich selbst rotiert. Der beengende Kokon aus betäubend vibrierender Energie, der dabei entsteht, wird durch die zierliche Tänzerin immer wieder durchbrochen: unerwartet schnellen ihre Arme in entgegengesetzte Richtung auseinander, um sich in scheinbarer Unabhängigkeit voneinander zu entfernen. Doch der Körper ist stärker, hält die Glieder zusammen so wie er Erinnerungen beisammen hält.

Dass die Erinnerung gerade auch beim Verlust eines geliebten Menschen unkontrollierbare emotionale Wirkkräfte entfalten kann, weiß Riki von Falken. Dass, um damit fertig zu werden, kein hartnäckiges Dagegen-Anstämmen hilft, weiß sie auch. Mit der Rekonstruktion von „One more than one“ wagt die mittlerweile 61-jährige Choreografin deshalb den Gegenwartsblick auf ein Stück Trauerarbeit: Ihr Solo war 2003 als Abschluss einer Triologie über die Krankheit und den Tod ihres Mannes, des Bildhauers Günter Anlauf, entstanden. Zwölf Jahre später, ist der emotional distanzierte Umgang mit diesem Lebens- und Schaffensabschnitt möglich. So ist es vor allen Dingen die Struktur des Stücks, welche die Choreografin heute interessiert. Mittels sprachlichen Beschreibungen und kleinen Skizzen hat sie es mehrere Monate lang analysiert, um zwischen Körper-, Raum- und Musikmaterial Reibung entstehen zu lassen und diese in der Bewegung seismografisch auszuloten.

Die Konzentration, die sie sich selbst auf der Bühne dabei abverlangt ist hoch und erzeugt auch auf Zuschauerseite eine gespannte Aufmerksamkeit, die zusammen mit der unermüdlich vorwärtstreibenden Musik, insbesondere von Steve Reich, an eine Überforderung der Sinne grenzt. Einen Kontrapunkt setzen die Szenen, in denen Riki von Falken in zerbrechlicher Stille innehält, sich mit feinmechanisch tastender Gestik über den Kopf oder das Herz fährt und das Publikum einen flüchtigen Moment lang emotional berührt.

Dass Riki von Falkens tänzerische Vorbilder aus den 1960er Jahren stammen, ist besonders dem zweiten Teil des Stücks anzumerken. So hatte sie sich als Stipendiatin in den USA Mitte der 1980er Jahre neben den Arbeiten Trisha Browns insbesondere auch für den Wegbereiter des amerikanischen Postmodern Dance Merce Cunningham begeistern können. Der fein ausbalancierte Sinn von Cunninghams Tänzern für Lage- und Spannungsverhältnisse sowie deren Fähigkeit, Bewegungen in ihrer Dynamik punktiert und feinstimmig kontrolliert zu halten, hat in von Falkens minimalistisch klarem Bewegungsstil Spuren hinterlassen: ein Bein im Plié, das andere weit zur Seite ausgestreckt, schiebt sie sich über eine imaginierte Diagonale. Oberkörper und Kopf agieren wie bei Cunningham rhythmisch unabhängig von den Beinen, kippen kontrolliert zur Seite und richten sich wieder auf. Auch das gleichzeitige Ausrichten der unterschiedlichen Körperglieder in verschiedene Raumrichtungen ist eine Anleihe aus cunninghamscher Tradition. Von Falkens Wechselspiel aus unterschiedlichen Raumrichtungen, Rhythmen und Gewichtsmomenten, lässt so - ähnlich wie bei ihrem einstmaligen Vorbild - einen filigranen, weil räumlich vielstimmigen Körper entstehen. Einen Körper im Werden, der - im Falle dieser Choreografin - nicht nur physisch, sondern auch emotional offen bleibt, und bewusst und konstruktiv mit den Veränderungen des Lebens umgeht.

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