Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ am Staatsballett Berlin
Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ am Staatsballett Berlin

Formen von Indifferenz und Unentschlossenheit

Nacho Duatos „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ am Staatsballett Berlin

Nach dem Reinfall mit „Dornröschen“ wurde die zweite Premiere unter der Ägide von Duato mit Spannung erwartet. Er war auf Nummer sicher gegangen und hatte dafür einen im Jahr 2000 mit dem „Benois de la Danse“ geehrten Erfolg von 1999 gewählt.

Berlin, 16/03/2015

Nach dem Reinfall mit „Dornröschen“ wurde nun die zweite Premiere des Staatsballett Berlin unter der Ägide von Nacho Duato mit Spannung erwartet. Duato war auf Nummer sicher gegangen und hatte dafür einen im Jahr 2000 mit dem „Benois de la Danse“ geehrten Erfolg von 1999 gewählt: „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“, seinerzeit im Auftrag von Weimar als Kulturhauptstadt Europas entstanden. Um es vorwegzunehmen: Die Rechnung ging auf. Die nicht ganz ausverkaufte Komische Oper feierte die Kompanie und ihren Intendanten enthusiastisch. „Ich liebe Berlin“, verkündete Duato folgerichtig und sichtlich erleichtert auf dem Premieren-Empfang – bleibt jedoch abzuwarten, ob Berlin über das Premierenpublikum hinaus auch Duato lieben wird. Denn nach wie vor ist nicht so recht erkennbar, wohin er die Kompanie steuern möchte. Und was 1999 noch eine Überraschung war, erscheint 16 Jahre später zwar noch nicht abgestanden und fad, aber auch nicht mehr sehr originell und neu. Das lose aneinandergereihte Bach-Potpourri wird eher zum Spiegel der Indifferenz und Unentschlossenheit, die Duatos bisherige Amtszeit prägen.

Dieser knapp zweistündige Ballett-Abend ist ein Kaleidoskop von Begegnungen verschiedenster Art zu Musik von Johann Sebastian Bach. Und es ist vor allem die Kraft der Musik, die den Abend trägt, sogar in dieser zerstückelten Form. Es sind Auszüge aus Sonaten und Konzerten für Cello, Violine, Cembalo und Streicher, es sind vereinzelt auch Orgelwerke und Kantaten, eingerahmt zu Beginn und am Schluss von „Aria“ aus den „Goldberg-Variationen“ mit Glenn Gould. Duato teilt den Abend in zwei Themenbereiche: „Vielfältigkeit“ zeigt 23 kurze Choreografien, die wie ein Reigen an einem vorbei gleiten, weitgehend ohne inneren Zusammenhalt (weshalb sie mit der Zeit auch etwas ermüdend wirken). Nach der Pause folgt „Formen von Stille und Leere“ – noch einmal acht kurze Stücke, die im Tod münden.

Bach selbst ist die Leitfigur, die durch den Abend führt, verkörpert von Michael Banzhaf im Barock-Kostüm mit Perücke. Um ihn herum TänzerInnen in schlichten schwarzen Shorts und T-Shirts, im stilisierten Reifrock, Glitzer-Wams, Samtkittel oder langen, weiten Rock. Duatos Bewegungssprache mit abgewinkelten Armen und Beinen und tiefen Pliés lässt die Schule des Nederlands Dans Theater noch deutlich erkennen, auch eine Prise Mats Ek ist mit dabei. Und doch entwickelt Duato hier durchaus seine eigene Handschrift – vor allem wenn er die Ensembles zu immer neuen Formationen strukturiert und dabei mit der Musik am stärksten im Einklang ist. Beeindruckend auch das Spiel mit den Schatten und die teilweise sehr kraftvollen Pas de deux. Violin-Bögen nutzt Duato als degenähnliche Waffe, oder er lässt Michael Banzhaf damit auf dem Körper von Giuliana Bottino „spielen“ – die Frau als Cello – allerdings mit ebenso geschmäcklerischem wie obszönem Anklang. Herausragend in ihrer choreografischen Eigenwilligkeit, in Dynamik und Dramatik ist vor allem das Stück für sieben Tänzer in eng anliegenden schwarzen Miedern mit langen, kardinalsrot abgefütterten Glockenröcken zur Toccata für Orgel d-moll im zweiten Teil des Abends.

Groß angekündigt war der Gast-Auftritt Polina Semionovas als stilisierter Tod mit weißer Halbmaske und schwarzem Rüschenrock. Insgesamt hat sie jedoch nur in fünf der 23 Episoden zu tun und kann vergleichsweise wenig Eigenprofil entwickeln.

Raffiniert und bestechend in seiner Schlichtheit das Bühnenbild des in Wien ansässigen irakischen Architekten Jaffar Chalabi (das 2000 ebenfalls mit dem „Benois de la Danse ausgezeichnet wurde). Es symbolisiert die „Vielfältigkeit“ nicht nur über zick-zack gefaltene Hocker, sondern vor allem durch einen Hintergrundprospekt mit drei horizontal faltbaren, metallisch anmutenden dunklen Kunststoff-Membranen. Sie verdecken ein offenes Gerüst, das über schiefe Ebenen begehbar ist und das sich am Schluss in ein von blauen Scheinwerfern illuminierten Baukasten verwandelt, den die Menschen wie Spielfiguren bevölkern oder in dessen Waben sie in Haltungen erstarren, bis die Dunkelheit sie verschluckt. Der Tod holt sowohl Bachs Frau(en) wie auch ihn selbst – und reißt dabei die Lebensspirale mit sich, die Chalabi mit einem sich um sich selbst drehenden schmalen dunklen Tuch symbolisiert.

Jetzt bleibt abzuwarten, ob Duato mit der ersten Uraufführung für das Staatsballett im Mai 2015 an diesen Erfolg aus 1999 anknüpfen kann.

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