Egbert Strolka während des Jubiläums 50 Jahre Tanzausbildung an der HfMDK Frankfurt am Main 2011
Egbert Strolka während des Jubiläums 50 Jahre Tanzausbildung an der HfMDK Frankfurt am Main 2011

Ein Charakterkopf

Egbert Strolka zum 80. Geburtstag

Da war dieser nicht besonders große Vollgummi-Ball, der scheinbar mit Gas angefüllt war und nur kurz, ehe er mit dem Kopf an die Decke stieß, geruhte wieder auf den Bretterboden zurückzukehren.

München, 20/03/2015

Nie habe ich ihn auf der Bühne gesehen. Und ich weiß auch nicht, wie alt er war, als ich ihm das erste Mal begegnete. Jung genug war er jedoch, mich so zu beeindrucken, dass ich ihn nie vergessen habe: Wie so viele bedeutende Tanzmenschen war er in Köln bei der „Internationalen Sommerakademie“, draußen in den Hallen des Müngersorfer Stadions, wo sich in den Sälen immer 50 und mehr Tänzer drängten und solche, die es sein oder werden wollten, wie ich.

Da war dieser nicht besonders große Vollgummi-Ball, der scheinbar mit Gas angefüllt war und nur kurz, ehe er mit dem Kopf an die Decke stieß, wieder auf den Bretterboden zurückzukehren geruhte. Er konnte sich drehen, auch mal im Relevé am Ende von Pirouetten stehen bleiben, ging meist aber lieber mit virtuoser Pose aufs Knie. Es war regelmäßig so, dass er und sein Freund Wolfgang Leistner noch drehten, wenn alle anderen längst wieder die Saalmitte verlassen hatten und Leon Woizikowsky, der Tänzer und Trainer aus der Diaghilew-Zeit, den Pianisten anwies, weiter zu spielen. Und es kam uns Adepten so vor, als würde zwischen den beiden Tanzstars ein Wettbewerb darüber ausgetragen, wer denn höher, weiter und länger konnte.

Dabei waren sie so unterschiedlich vom Typ – Leistner ein schöner Danseur Noble und Strolka der Virtuose für die Charakterrollen und Narren. Aber im Saal hat er das nicht durchblicken lassen, wie etwa Egon Madsen, der immer gut war für Stegreif-Komik. Egbert war der Arbeiter, der sich das Letzte abverlangte. Ich glaube, das hatte er von seinem Lehrer Gustav Blanck, der als Ballettchef der Städtischen Oper die Ballettszene Berlins nach dem Krieg entscheidend mitgeprägt hat. Als Tatjana Gsovsky aus Buenos Aires wieder nach Berlin kam, übernahm sie diese Kompanie und sah in Egbert einen Typ Tänzer, der das Publikum zu Tränen rühren sollte, wie im „Roten Mantel“ (Musik: Luigi Nono) oder im „Hamlet“ und anderen Uraufführungen, die sie kreierte und in denen er große Erfolge feierte. Blank ging nach München, wurde der erste Professor für Ballett an der Musikhochschule und traf dort auf Peter Breuer.

Egbert, der ein echter Berliner ist – was man ihm nicht anmerkt, weder die berühmte große Schnauze noch den Angeber, der sich aufplustert, obwohl ihm nur wenige das Wasser reichen konnten – ging schließlich auch aus Berlin fort und ließ sich von Erich Walter, dem neuen Choreografen-Star in Wuppertal engagieren. Aber zwischen den beiden funkte es nur anfangs, als er den Joker in „Jeux des Cartes“ tanzte. Und das Publikum brachte das damals noch fast neue Opernhaus beinahe zum Einsturz vor Begeisterung. Die beiden folgenden Spielzeiten wurde er mit fast lyrischen Rollen besetzt und fühlte sich unterbeschäftigt. Ein klarer Fall von „zur falschen Zeit am falschen Ort“. Er verließ die Wupper in Richtung Bundeshauptstadt Bonn, um beim Skandalchoreografen Marcel Luipart dessen „Abraxas“ an der Bayerischen Staatsoper zu tanzen, die vom Kultusminister Alois Hundhammer verboten wurde, und die Uraufführung von „Die Gans und die Fünf Köche“ nach einem Libretto von Günter Grass zur Uraufführung zu bringen.

Der Strolka hatte viel zu tun und wie man sieht, ließ er sich nicht unterkriegen. Das wenigstens ist wohl typisch berlinerisch. Er hatte genügend zu tun und blieb für etliche Jahre freischaffend – nach Stationen wie Heidelberg und Bonn bereiste er mit dem Goethe-Institut die ganze Welt. Damals haben die Fernsehanstalten noch viel Ballett produziert – nicht am laufenden Band, aber verglichen mit heute war es paradiesisch – und so hat er viel gefilmt, vor allem beim Süddeutschen Rundfunk Stuttgart. Das war ehe John Cranko die deutsche Bühne betrat. Und es wäre eine ganz große Aufgabe für den Tanzfonds Erbe diese Schätze, die bei den Sendern liegen und an die sich niemand mehr erinnert, zu heben. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Ballett-Version von „Endstation Sehnsucht“ aus dieser Zeit. Die Sender aber wollen dafür Geld haben und deswegen ist es nicht einfach, der Öffentlichkeit dieses Material zugänglich zu machen. Doch wofür haben wir, so wie New York die Library hat, ein Tanzfilm-Institut in Bremen, wo man alles ansehen kann?

Sicherlich hat Egbert, im Gegensatz zu Theatertänzern dabei auch gut verdient. Und als die Zeit kam, die Schläppchen an den Nagel zu hängen, und er gerade im Begriff war, eine Umschulung zum Lehrer zu machen, wurde ihm angeboten, bei der Fusion der Ballette Kiel und Lübeck als dritte Gewalt die Hebamme dieser Missgeburt zu werden, mit Heino Heiden und Martin Stühler als Chefs. Lang währte das Leben dieser Kompanie nicht – aber es war stressig, besonders für den, der zwischen den Leitern hing. Ein Gutes hatte diese Zeit wenigstens, er lernte den jungen amerikanischen Tänzer Russell Falen kennen und lieben.

Egbert bekam nun eine Einladung nach Essen, wo Kurt Jooss einige Jahre zuvor das FTS (Folkwang Tanz Studio) ins Leben gerufen hatte und ein neuer Trainer gebraucht wurde. Ich kam gerade aus Kanada zurück und Jooss wollte mich gern engagieren, aber ich ging nach einem kurzen Gastspiel in Gelsenkirchen nach Düsseldorf zu Erich Walter. Und in jenem Sommer hatte das FTS ein Gastspiel bei den Salzburger Festspielen und ich glaube, dort haben wir einen ersten Kaffee zusammengetrunken. Es hat aber noch fünf weitere Festspiel-Sommer gedauert, bis wir wirklich Freunde wurden und zusammen mit Russell arbeiteten, der als Tänzer mit von der Partie war. Wir tanzten in der großen Ballett-Opernproduktion „Rappresentatione di Anima e di Corpo“ und ich wurde Assistent von Jooss. Diese barocke Ausgrabung von Emilio de Cavalieri wurde vom ORF aufgezeichnet und mehrfach ausgestrahlt.

Wann genau es passierte, dass Egbert die Professur als Leiter der Ballettabteilung der Musikhochschule Frankfurt bekam, weiß ich nicht genau, denn ich war ziemlich mit mir beschäftigt – damals bekam ich meine erste Position als Ballettchef in Ulm. Eines Tages begegneten wir drei uns im Zug der DB. Wir hatten zwar nicht das gleiche Ziel, fuhren aber eine Weile zusammen und bei dieser Gelegenheit wurde die Idee geboren, dass ich für den Abschlussabend der Studierenden ein Stück machen sollte, und nach dem ersten kamen über die Jahre etliche andere dazu.

In dieser Schule herrschte eine wunderbare Atmosphäre und Egbert als Leiter, was ja kein Zuckerschlecken bedeutet, wurde nicht müde, seinen Zöglingen beizubringen, dass vor allem Disziplin und Fleiß zählen, um ein Engagement zu bekommen. Neben dem Quäntchen Begabung und natürlich einem netten Prozentsatz Glück. Wir wissen ja alle, wie die Richtlinien unserer Hochschulausbildung sind und wie schwierig es ist, schon fast erwachsenen Menschen noch einen Weg ins Tänzerleben zu ermöglichen. Aber die, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, haben ihren Weg überdurchschnittlich gemacht. Und das verdanken sie nicht zuletzt Egbert, diesem Meister seines Fachs, dem allerdings auch gesundheitlich mancher Streich gespielt wurde. Glücklicherweise hat er die Zähne zusammengebissen und er weiß besser als ich, wofür die Medizin Ersatzteillager zur Verfügung hält.

Ich denke, wir sind einer Meinung, wenn ich meiner Überzeugung Ausdruck gebe, dass ein solcher Charakterkopf noch lange seinen Senf dazu geben sollte, zu dem, was uns bewegt und wie – im wahrsten Sinne des Wortes.

 

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