GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN: Armin Kahl als Vicomte de Valmont, Nazide Aylin als Émilie
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Fremdgehen weil's Spass macht

Pick bloggt: Über U-Kunst am Hansa Theater in Hamburg und am Cuvillies-Theater in München

Bei seiner Reise in den Norden sammelt Günter Pick Eindrücke über Bremens Freie Tanzszene und frischt Erinnerungen an seine Begeisterung für Varieté auf, um dann schnell wieder in sein München und ins Cuvillies-Theater zu eilen.

Bremen / Hamburg /, 20/03/2015

Da mein Interesse nie ausschließlich dem Tanz gehörte, sondern dem Theater als Gesamtkunstwerk, gehe ich gerne in die Oper, ins Schauspiel, aber auch in den Zirkus (wie z.B. Cirque de Soleil) und ins Varieté. Als ich in Paris lebte, spielte ich sogar mal mit dem Gedanken, mich im Paradis Latin als Can-Can Tänzer engagieren zu lassen ... so wie Klaus Zirulnikof, ein Folkwängler (auch das gab's!), der bei Moulin Rouge unzählige Male in den Spagat sprang. Und ist es nicht schade, dass wir Deutschen es immer so grüblerisch brauchen, statt wie die Angelsachsen den Unterschied zwischen E- und U-Tanzkunst kaum kennen.

Es ist kein Wunder, dass die „Zauberflöte“ die meistgespielte Oper ist, und „Faust“ wie „Peer Gynt“ sich höchster Beliebtheit erfreuen, weil sie mit Bühnenzauber eine Sehnsucht erfüllen, die in uns schlummert. Selbst die Kirchen haben es schwer, ihre Gäubigen zu begeistern, seit sie das Brimborium abgeschafft haben. Kult und Zauber sind die Grundformen des Theaters. Und wem es gelingt, diese mit Intellekt zu verbinden, denen gehört der Erfolg. Aber selbst das ist ja bei uns fragwürdig geworden, obwohl die Devise „Leeres Theater – Gutes Theater“ ja schon lange der Vergangenheit angehört, seit eine Krise die nächste jagt. Hauptsache innovativ um jeden Preis. Wie viel „Handwerk“ darf's denn noch sein? Dabei fällt mir wieder ein, wie Birgit Keil bei einer Sitzung des Kuratoriums Darstellende Künste keine Mehrheit für ein Projekt fand und mit leiser Stimme, aber nicht weniger bestimmt, fragte: „Ja zählt denn Qualität gar nicht mehr?“

Bevor ich auf interessante U-Produktionen zurückkomme, aber erst mal Bremen: Beim Deutschen Tanzfilm Institut, besser seiner Gründerin Heide-Marie Härtel, die Sachwalterin eines enormen Erbes ist, habe ich Station in Bremen gemacht, nicht ohne bei einer Sitzung des Dachverbandes wieder einmal unangenehm aufzufallen. Ich habe ungebeten meinen Mund aufgemacht und auf die Probleme der „Freien Tanzszene“ dieser Stadt (allerdings kein Einzelfall!) hingewiesen. Denn die künstlerische Konstruktion der Spielstätte Schwankhalle steht in Frage, weshalb dieser Ort nun durch eine Art Intendanten-Modell in Zukunft möglicherweise nicht mehr wirklich frei arbeiten kann – was die etablierten Tanzkompanien an den Opernhäusern durch List und Tücke in den vergangenen Jahren mehr und mehr auszuhebeln geschafft haben. Eine verkehrte Welt ...

Zurück zu den amüsanteren Themen meiner Reise in den Norden, nach Hamburg. Nein, nicht zu John Neumeier oder Kampnagel, sondern ins traditionsreiche Hansa Theater, das neben dem Wintergarten in Berlin und Olympia in Paris, eines der bekanntesten Varietés der Vorkriegszeit ist und in dem noch bissige Songs zum besten gegeben wurden. Hier sind sie alle aufgetreten, von Hans Albers über die Bananenrock Chansonette Josephine Baker bis zu Conny Froboess und Ulrich Tukur. Ich hatte Glück, denn der Conférencier des Abends war der Niederländer Robert Kreis. Er begleitete sich selbst am Flügel zu eben solchen, auch mal schlüpfrigen „Dichtungen“. Eine aussterbende Gattung, dieser schicke Frackträger.

Ich hatte zudem eine Einladung von Gordon Leif, der ein Schüler von Fritz Rost in der Berliner Staatlichen Ballettschule unter Martin Puttke war. Leif war einige Jahre Solist am Gärtnerplatztheater und als er genug von dieser Karriere hatte, besann er sich auf seine Staatliche Artisten-Ausbildung und entwickelte mit seinem Jonglierpartner Pet Fabio eine eigene Nummer als „Strahlemann und Söhne“. Die Premiere fand im Chamäleon in einem der Hackeschen Höfe statt. Damals traten sie oft im Slip auf, wenn sie – während sie mit Keulen jonglierten – sich die Kleider vom Leib rissen, um dann den Anzug des anderen, immer weiter jonglierend, anzuziehen. Das Ganze mit unnachahmlichen Charme. Sie taten so, als sei nichts gewesen, und es ist nicht verwunderlich, dass sie die ganze Welt bereist haben und sogar einen Preis aus China, dem Eldorado der Artisten, mitgebracht haben. Von ihrem Charme haben sie nichts eingebüßt, im Gegenteil, es sind herrliche Kleinigkeiten dazugekommen. Und mit Sockenhaltern und Boxershorts bleiben sie heute relativ angezogen.

Trotz dieser schönen Abwechslung bin ich wieder in mein München geeilt, um die letzte Vorstellung der Uraufführungsserie „Gefährliche Liebschaften“ des Staatstheaters am Gärtnerplatz zu sehen. Aufgeführt wurde das Stück im Cuvillies-Theater, da die Heimatbühne noch im Umbau ist, und es sieht nicht so aus, als ob es bald wieder bezugsfertig werden würde. Es war die dritte Inszenierung, die ich vom Intendanten Josef E. Köpplinger gesehen habe und es war wieder ein großer Theaterabend, wie man es erwartet in einer solchen Kulturmetropole. Das traf auch auf die Erstaufführung von „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ im Prinzregententheater zu, doch die größte Überraschung war für mich „Die Zirkusprinzessin“ im Zirkus Krone. Was Köpplinger und sein Chefchoreograf Karl Alfred Schreiner aus dieser ziemlich abgetakelten Operette gemacht haben, ist bewundernswert. Ein Großteil des Erfolgs geht an das Ballettensemble, das den ganzen Abend mit getanzten und gelebten Clownerien aufwertet und nie langweilig werden lässt, was bei dem Oeuvre wahrlich nicht einfach ist!

Die „Gefährlichen Liebschaften“ haben natürlich ein anderes Kaliber und ich hatte eigentlich nie das Gefühl, das sie unbedingt ein Musical sein müssten. Damit will ich weder die Darsteller noch das Stück und schon gar nicht die Musik von Marc Schubring abwerten. Alle und alles insgesamt war großartig und auch die schlüpfrigsten Szenen wurden mit Grandezza und live absolviert. Das hat ja nicht einmal – bei aller Schönheit – der etwas dröge Film fertiggebracht! Und wenn die Rezitationstexte etwas gestrafft wären, vielleicht besser verständlich und für die Sänger mundgerechter ... Aber wie gesagt, es ist ein Musiktheaterabend der Sonderklasse, unterhaltend, mit Tiefgang und Hintersinn. Manchmal habe ich gedacht, es hat sich kaum was verändert bei Dieu en France, aber glücklicherweise haben trotzdem alle Puderperücken getragen.

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