Les Ballets de Monte-Carlo bei Movimentos in Wolfsburg
Les Ballets de Monte-Carlo bei Movimentos in Wolfsburg

Vom Filmtraum ins Ascheland

Les Ballets de Monte-Carlo gastieren beim Festival Movimentos in Wolfsburg

Jean-Christophe Maillots vor zwei Jahren uraufgeführter Szenenfolge „Choré“ eilt der Ruf eines gediegenen, dabei kritisch kommentierenden Streifzugs durch das US-Filmmusical voraus.

Wolfsburg, 07/05/2015

Unter den Gastspielen der diesjährigen Movimentos-Festwochen in der Autostadt Wolfsburg gehören die Auftritte der Ballets de Monte-Carlo zu den mit Spannung erwarteten. Jean-Christophe Maillots vor zwei Jahren uraufgeführter Szenenfolge „Choré“ eilt der Ruf eines gediegenen, dabei kritisch kommentierenden Streifzugs durch das US-Filmmusical voraus. Denn Film-Schein und Welt-Sein klafften gerade in den Streifen der 1930er und 1940er arg auseinander. So lässt der französische Choreograf seine pausenfreie Produktion gleich metaphorisch beginnen.

Vor dem Vorhang zieht die Diva vorüber, gedoppelt von einer Person in Ganzkörper-Schwarz, der Schatten ihrer einstens glanzvollen Karriere oder der Tod, der allem Leben lauert. Melancholisch beklagt der eingesprochene Text menschliches Sterbenmüssen, elegisch geht es auch in „Pracht und Elend“ zu, der ersten von fünf Szenen. Denn leichtfüßig elegant im Stil von Fred Astaire und Ginger Rogers schweben Paare zwar zum Soundtrack des US-Musicals „Roberta“ von 1935, später zu drängender Filmmusik von Danny Elfmann über die Bühne, doch beigemischt, bisweilen sogar sie dirigierend, ist stets ein Todespaar. Flink geraten Maillots Pas de deux zwischen Liebe und Streit, setzen clevere Schleudern und russische Folklore ein, reichern den Ballroom-Gestus mit Spitzentanz an. Worin jedoch das titelgebende Elend besteht, Kriegsahnung oder Wirtschaftskrise, bleibt die Szene noch schuldig.

„Ruhe! Action!“ führt Dreharbeiten vor. Ein Matrose im Stil von Gene Kelly entert aus dem Saal jene steife Welt, in der Fächer aus weißen Federn nacheinander als Engelsflügel und Flieger-Tragflächern zittern. In Slapstick-Spaß scheint Krieg einzubrechen, Girls steppen unverdrossen weiter, die rasende blonde Diva muss sich einer King-Kong-Klaue erwehren. Hektisch steigert sich Bertrand Maillots Originalkomposition, als die abgestürzte Diva unter Fächern begraben wird. Doch alles ist nur Filmdreh, zu „Wings of Love“ formieren sich die Girls, die wiedererstandene Diva tritt, Reminiszenz an Josephine Baker, mit bodenlangem Bananengürtel in Weiß auf, der an eine Krake erinnert. Was dann ein schräg hängender Spiegel als Plafond raffiniert doppelt, den Liegetanz auf verschieden gemustertem Boden und eine sich öffnende Blüte mit der Diva als Stempel, ruft Busby Berkeleys geometrische Girlsraster auf Treppen ins Gedächtnis. Applaus vom Band und beräumte Teppiche enden den Filmspuk.

Minimal-Geklapper von Yan Maresz und eine dauerhaft absaufende Sirene untermalen in „Kriegserklärung“ den Tanz mehrere Paare in Op-Art-haften Ganzkörper-Streifentrikots wie gesichtslose Häftlinge, die nicht gestreichelt werden wollen und von denen einer am Ende gespenstisch seiner zweiten Haut beraubt wird. Dann beginnt zu Klavierklang von John Cage mit „Ascheland“ der berührendste Teil des 75-minütigen Abends. Auf zwei abgelegten Scheinwerferbatterien als Podesten hantiert jeweils ein Mann mit seiner wie tot schwebenden Partnerin. Keine Leichtigkeit mehr, sondern Welt-Sein statt Film-Schein. Das hat Atmosphäre. Tot liegt auch das Solopaar; als er schließlich, sie auf dem Po drehend, den Flugtanz imitieren will, bleibt der schwer und bodenverhaftet, puppenartig gezirkelt, mit einem Einschlag von Butoh.

Doch Maillot wäre nicht der passionierte Verfechter von Tanz, würde er die Situation derart trist stehen lassen. Sein Finale verspricht „Nach dem Tanz ist noch mehr Tanz“ und gerät so zur Ode an dessen weltverbessernde Kraft. Ausschnitte aus Vincente Minnellis populärer Musical-Comedy „The Band Wagon“ von 1953, gesungen von Fred Astaire, der hier mit Cyd Charisse agierte, tragen rhythmische Improvisationen der 36-köpfigen Kompanie. Alles Gezügelte kann sich endlich entladen, denn schließlich leitet sich „Choré“ vom griechischen Wort „Tanz“ ab. Maillots „Choré“ liegt gut im Raum und unterhält über Strecken, wartet indes auch mit manch verrätselter Sequenz auf. Kein Wurf, aber ein gut gemeinter Anlauf dahin.

Nochmals 7.-9.5.

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