„Rotkammertraum“ im Folkwang Tanzstudio

„Rotkammertraum“ im Folkwang Tanzstudio

Welttanz voller Poesie

Uraufführung beim Folkwang-Tanzstudio von Fang-Yu Shen

Das Folkwang-Tanzstudio schlägt mit der Uraufführung von Fang-Yu Shens bewegend poetischer Choreografie "Rotkammertraum" eine eindrucksvolle kulturelle Brücke zwischen Fernost und West.

Essen-Werden, 18/05/2015

Nach einer chinesischen Legende sind die Säulen, die den Himmel tragen, aus 36500 roten Steinen errichtet. Ein besonders unförmiger Stein blieb übrig. Er wurde in das Schicksal eines Menschen verwandelt: Pao Yü, mit einem Stein im Mund geboren, ist der einzige Nachkomme des Adelshauses Kia. Aber er wird nicht glücklich und kehrt in die Rote Kammer, die Welt der Kinder des roten Staubs, ein. Chinas Nationaldichter Cao Xueqin (1715 bis 1764) beschreibt in seinem Roman „Der Traum der Roten Kammer“ angeblich den Niedergang seiner eigenen aristokratischen Familie und zeichnet gleichzeitig, mythologisch verfremdet, das Bild der Gesellschaft seiner Zeit nach. Das epische Werk verglich Dortmunds Ballettdirektor Xin Peng Wang vor der Premiere seines Balletts nach dem Roman (2012) in seiner Bedeutung für China mit der von Thomas Manns „Buddenbrooks“ für die neuere deutsche Literatur.

Zum 300. Geburtstag des chinesischen Dichters regte die Beijing Cao Xueqin-Gesellschaft weltweit die Entstehung von Kunstwerken über den Roman an. In Deutschland wandte sie sich an die Folkwang Universität der Künste, wo am Institut für Zeitgenössischen Tanz seit Jahrzehnten auch Tänzer und Choreografen aus Fernost ausgebildet werden – darunter der gebürtige Chinese Xin Peng Wang und die Taiwanesin Fang-Yu Shen, die 2011 erste Absolventin des Masterstudiengangs Choreografie wurde und inzwischen international erfolgreich ist. Sie choreografierte das 90-minütige Tanzstück mit zehn derzeitigen Mitgliedern des Folkwang-Tanzstudios und fünf Gästen. Nach den Namen zu urteilen stammen mindestens fünf aus Fernost, aber fernöstliche Gestik und Mimik bestimmen die Tanzsprache, chinesische Artistik und Kampfsportarten setzen imponierende, unterhaltsame Akzente.

Einzelne Personen oder Gruppen zu identifizieren und die Szenen inhaltlich zu verstehen fällt in dieser – wie in Wangs Ballett – extrem komprimierten Geschichte (trotz der sorgfältigen Texte im Programmheft) sehr schwer. Beste Hinweise liefern, wie so oft im Tanz, die Kostüme von Min Li: in grauen Trikots treten die Tiere auf, aus denen die zwölf Familienmitglieder der Dynastie werden, die vornehme chinesische Mäntel über mint-farbenen T-Shirts und lachs-farbenen Hosenröcken tragen. Der junge Mann, der die für ihn völlig fremde menschliche Welt betritt, kommt zögerlich und staunend in westlichen Alltagsklamotten daher.

Videos und Projektionen (Gonzalo H. Rodriguez) von Naturstimmungen, chinesischen Schriftzeichen, Symbolen und Malerei wirken lediglich wie ein „Must“ für eine zeitgenössische Tanzproduktion. Faszinierend stimmig dagegen passt sich die Musik des Komponisten Christian Jost mit fernöstlichen Trommeln, Pauken, Schinellen und Xylophonklängen ein, auch wenn die vielen dramatischen Crescendi eher an Hollywood-Schinken als an die Peking-Oper erinnern.

Das Folkwang-Tanzstudio schlägt mit der Uraufführung von Fang-Yu Shens bewegend poetischer Choreografie eine eindrucksvolle kulturelle Brücke zwischen Fernost und West.

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