„Penumbra“

„Penumbra“

Dunkle Geheimnisse im dicken Gemäuer

„Penumbra“ – spannender Tanz im Dicken Turm bei den Heidelberger Schlossfestspielen

Die direkte, athletische und dennoch raffiniert verspielte Bewegungssprache des „Nouveau Cirque“ ist eine attraktive Antwort auf gelegentlich verkopften Konzepttanz.

Heidelberg, 13/07/2015

„Penumbra“ heißt so viel wie Halbschatten. Davon allerdings konnte, zumindest bei der Premiere, keine Rede sein: Mindestens der halbe Tanzabend präsentierte sich im fast unbarmherzig klaren, blendenden (Gegen-)licht, bis die Sonne hinter dem Heiligenberg verschwunden war. Aber die Augen zusammenkneifen durfte man als Zuschauer bei dieser Premiere der Heidelberger Schlossfestspiele auch aus anderen Gründen. Denn was die Akteure, die Tänzerinnen und Tänzer von Nanine Linnings Dance Company unter Anleitung des Choreografen-Duos Tim Behren und Florian Patschovsky vor, nein in der dramatischen Kulisse des Dicken Turms zeigten, war Akrobatik vom feinsten.

Die beiden Tänzer und Choreografen, die zusammen auch als „Overhead Project“ firmieren, haben an der Brüsseler Zirkusschule eine seltenes Studienfach absolviert: Partnerakrobatik. Mit ihren überraschenden, witzigen und manchmal surreal wirkenden Bewegungs-Kunststückchen waren die beiden in der Vergangenheit gern gesehene Gäste in anderen Kompanien – jetzt haben die beiden den Spieß einmal umgedreht. „Penumbra“ ist ihr erstes abendfüllendes Stück für eine fremde Truppe.

Die Heidelberger Tänzerinnen und Tänzer mussten wohl in den letzten Wochen ein ziemlich hartes Training durchlaufen: Hinfallen – aufstehen – hinfallen… Denn gestürzt wird ziemlich spektakulär und ganz dicht vor den Augen der Zuschauer, die in einem temporären Gerüst an der Innenseite des Dicken Turms in mehreren Etagen auch ein bisschen Höhenluft schnuppern können. Das ist definitiv nur etwas für schwindelfreie Besucher. Die Company darf sich in luftiger Höhe dagegen wie zuhause fühlen. In einer spektakulären Szene entledigen sie sich sämtlicher als überflüssig befundener Kleidungsstücke, die nach und nach malerisch durch die Luft segeln.

Zuvor freilich muss die Kleidung einiges aushalten, denn zimperlich gehen die Darsteller nicht gerade miteinander um. In einem zentralen Duo demonstrieren Francesca Imodia und Paolo Amerio die schmerzhafte Kehrseite einer Begegnung auf Augenhöhe: Wo keiner Schwäche zeigen darf, wird unbarmherzig um Stärke gekämpft. Wenn die beiden sich an Hemden und Hosen packen und durch die Luft wirbeln, hofft man als Zuschauer schon, dass Stoff und Knöpfe halten…

Mitten auf der Tanzfläche liegt das obere Drittel einer goldenen Kugel, gelobtes Land und Niemandsland zugleich. Wenn Thomas Walschot anfangs verzweifelt versucht, auf diesem abschüssigen Gebiet Fuß zu fassen und immer wieder stürzt, rutscht, zusammenbricht – dann ist der Bewegungstenor des Abends schon eingeläutet. Auch wenn das Heidelberger Schloss eine klare Affinität zur Romantik hat – die Choreografen interessieren sich nur für deren dunkle Seite: geheimnisvoll, gefährlich und boshaft. Immer wieder kippt die Stimmung, aber lautem Gelächter ist nicht zu trauen. Verrat wird schon bei der Gruppenaufstellung sichtbar, und die scheinbare Gemeinschaft bricht blitzschnell auseinander, wenn es gilt, den dunkelhäutigen „Eindringling“ zu isolieren…

Überhaupt interessieren sich die beiden Choreografen für Gruppendynamik. Zwei Parteien – graue Hoodys, schwarze Hoodys – rekrutieren ihre Mitglieder, indem sie ihnen einen gewaltsam einen Kapuzenpullover überzwingen. Katzenhaft schnell geht das alles, und dann wieder fast in Zeitlupe, wenn die TänzerInnen sich von der Brüstung Hals über Kopf gegenseitig „abseilen“.

Die direkte, athletische und dennoch raffiniert verspielte Bewegungssprache des „Nouveau Cirque“ ist eine attraktive Antwort auf gelegentlich verkopften Konzepttanz. Bei „Penumbra“ lässt sich in atemberaubender Kulisse wohlig schauern – gerade recht für eine laue Sommernacht…

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