Jörg Weinöhl über seine Pläne als Grazer Ballettdirektor

Von der „Sehnsucht, einen Raum zu gestalten"

Der charismatische Hüne Jörg Weinöhl hat sich vom Ballett am Rhein verabschiedet und beginnt eine neue Karriere als Ballettdirektor der Oper Graz. Am 10. Oktober hat sein Dornröschen-Ballett „Der Liebe Schlaf“ Premiere.

Graz, 23/09/2015

Einen mächtigen Apparat setzt der gebürtige Hesse für seine erste abendfüllende Choreografie ein: die 17 Tänzerinnen und Tänzer seiner neu formierten Kompanie, Kinder der Opern-Ballettschule, zwei Opernsänger, Chor und Philharmonisches Orchester – und zudem verspricht er „eine ganz neue Perspektive auf das Opernhaus“. Sein Programm für diese Saison umfasst drei sehr unterschiedlich anmutende Premieren und wird doch von einem großen Bogen umspannt. „Sie werden sehen: es gibt eine Beziehung von ‚Schlaf der Liebe‘ zu dem Ballett für Schubert ‚Und der Himmel so weit‘; und von dort zu der choreografischen Exkursion ‚Komm' mit!‘“ erläutert Weinöhl.

Auch die allererste eigene Choreografie, sein Solo „Das Wissen der Nacht“ (2002 beim ballettmainz), inspirierte ein Grimm-Märchen: „Die zertanzten Schuhe“. Aber Weinöhl denkt eine Geschichte immer sehr viel weiter, hinterfragt Chiffren und lotet die Bedeutung für unser heutiges Denken und Fühlen aus. Trotzdem: Will er sich wirklich dem Handlungsballett verschreiben? An der Stuttgarter John-Cranko-Akademie hat er nach dem Abitur studiert, drei Jahre unter Marcia Haydées Leitung in der weltberühmten Kompanie getanzt. Natürlich sei er dort dem Handlungsballett sehr nah' gekommen, sagt er jetzt. Aber natürlich war der Wechsel zu Martin Schläpfer nach Bern vor fast 20 Jahren ein drastischer Schnitt. Den Schweizer hatten offenbar die außergewöhnliche Ausstrahlung und die darstellerische Kraft, Weinöhls Musikalität, sein Humor und nicht zuletzt wohl die künstlerisch-philosophische Intellektualität fasziniert.

Weinöhl reifte in der 17-jährigen Zusammenarbeit mit Martin Schläpfer zu einem außergewöhnlichen Charaktertänzer: fast burschikos und tapsig gab er sich als Fischer in Gummistiefeln, der das zappelnde Fischchen Marlúcia do Amaral im „Forellenquintett“ fängt; auch als verschrobener Alter im Radetzkymarsch („Marsch, Polka, Walzer“), vergrübelt als Luther in der „Reformationssinfonie“, zart besaitet-kokett im schwarzen Spitzenkleid in der „Kunst der Fuge“.

In seinen eigenen Choreografien und im Gespräch kommt er ganz anders rüber: seine leise, freundliche Art überrascht. Federleicht wirken seine kleinen Sprünge und Gänge, filigran das Strecken des Fingers gen Himmel, das Streichen eines Arms über den anderen in dem szenischen Konzert „nicht ich - über das marionettentheater“ nach Kleists Essay mit der originalen Komposition von Isabel Mundry. Wie ein Crescendo mutet das kleine Lächeln um die Mundwinkel an, das sich ausbreitet, bis Weinöhls ganzes Gesicht am Ende der Tanz-Installation „Gestaltete Zeit des Verweilens“ – zu Chris Martins Kunstschau „Staring into the Sun“ in der Kunsthalle Düsseldorf 2012 – strahlt. Behutsam und sehr verinnerlicht wirkt vieles, was er in seinen eigenen Tanzstücken tut – wie er die Musiker hineinzieht in das Bewegungsritual in der Kleist-Choreografie oder nie den (fiktiven) Besuchern der Ausstellung in den Weg tanzt, sondern freie Räume nutzt, wenn sie sich dem Blick oder dem Körper öffnen. Eine ideale Konstellation war das überhaupt; denn zu Beginn war da für Weinöhl die „Sehnsucht einen Raum zu gestalten“. Inzwischen ist seine choreografische Sprache vielgestaltig, passt sich dem jeweiligen Sujet mit bemerkenswerter Feinheit und Sensibilität an, wirkt oft geradezu spirituell und kontemplativ, wie sehr persönlich zelebriertes Yoga.

Ob er unter den so ganz veränderten Umständen eines Ballettdirektors an einem Mehrspartentheater glücklich wird, steht für Weinöhl momentan nicht so sehr zur Debatte. „Glücklich machen ist wichtiger: Die Tänzer sollen mit Freude auf der Bühne stehen, die Zuschauer satt nach Hause gehen.“ Dennoch hat er sich vorerst nur für drei Jahre in Graz festgelegt, mit der Option auf Verlängerung seines Vertrages. Zwar „bedient“ das Ballett auch das Musiktheater, aber er sieht die Position des Tanzes keineswegs als untergeordnete Sparte. „Trennt man das Wort Musiktheater, steht genau dazwischen der Tanz – offen in beide Richtungen auf Augenhöhe“.

Seine Maxime heißt „gemeinsam!“ Gesamtkunstwerke sollen seine Tanzschöpfungen sein. Dabei legt er großen Wert auf Kontinuität. Mit der Komponistin Isabel Mundry pflegt er sie als Choreograf von Beginn an, mit Schläpfer ganze 17 Jahre. Dessen Ernsthaftigkeit habe ihn immer wieder besonders beeindruckt. Es gehe für ihn auch in erster Linie im Tanz darum, Fragen des Menschseins zu beantworten. Die gemeinsamen Jahre seien geprägt gewesen von einem „ständigen Geben und Nehmen.“

www.oper-graz.com

 

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