Eine kulturelle Reise in Zeiten der Krise

Natalie Broschat bloggt über das 14. L1-danceFest in Budapest

Mit Performances von Benjamin Jarret, Samuel Lefeuvre, Two-Women-Machine-Show & Jonathan Bonnici, Matthew Rogers, Francesca Foscarini, Silvia Gribaudi und Jaro Vinarsky zeigt Márta Ladjánszki ein abwechslungsreiches Programm.

Budapest, 25/09/2015

Vom 15. bis 19. September hat zum 14. Mal das L1-danceFest in Budapest stattgefunden. Wir begaben uns zu einer Zeit dorthin, in der diese Reise doch recht schwierig und mit unschönen Nachrichten verbunden war. Zuerst musste der ursprünglich geplante Zug (die direkte Verbindung von München nach Budapest mit dem Railjet 60) um einen Tag nach hinten verlegt werden, da Österreich aufgrund der Flüchtlingsströme den Zugverkehr nach Ungarn eingestellt hatte. So kamen wir am Dienstagabend über Umwege durch die österreichische und ungarische Pampa in Budapest an. Die erste Überraschung war der saubere und leer gefegte Bahnhof Keleti, an dem sich noch einen Tag zuvor etliche Flüchtlinge aufhielten.

Den ersten Tag des L1-danceFests haben wir verpasst. Unser Einstieg am zweiten Abend des Festivals im Bakelit Center ist dafür ein direkter, denn das Publikum wird ganz nah herangelassen ans Innenleben der Performer. Den Anfang macht der Amerikaner Benjamin Jarrett, der in „Spring Cleaning“ zeigt, wie er sich mit der Geschlechterfrage auseinandersetzt. Er will keine Frau sein, sich allerdings mal als solche fühlen. Weswegen er in einem pompösen Outfit einen Catwalk-Bühnenteppich entlang schreitet und links und rechts die Frauen in ihren Posen nachahmt. Die Transformation zum Inbegriff eines Mannes, dem Cowboy natürlich, findet dann in beinaher Ekstase statt. Boy Benjamin hat eine durchdringende Performance hingelegt.

Anschließend hält der Franzose Samuel Lefevre einen monoLOG, was hier ganz wörtlich genommen werden darf, da er in Holzfällerhemd und Jeans mit einem Baumstamm im Scheinwerferlicht zu sehen ist. Wie ein Neugeborenes hält er diesen auf seinem Arm und beginnt sich zu bewegen, sich zu verändern, aggressiver zu werden. Man spürt die Intimität bis in die Fingerspitzen, den intensiven Dialog mit dem Stamm.

Der Höhepunkt des Abends ist die Performance „Trans“ der Two-Women-Machine-Show & Jonathan Bonnici. Hier werden die Grenzen des Publikums ausgetestet, die Beobachterposition aufgelöst und eine solch exakte Choreografie durchexerziert, dass man nur staunen kann. Das Publikum ist Objekt, Grundlage des Stückes, da sich die vier Performer vom Beschreiben des Raumes zur Beschreibung der einzelnen Personen im Publikum übergehen werden. Ein äußerst unangenehmes, spannendes und auch schönes Unterfangen, da man nicht nur seine Mitzuschauer besser kennenlernt, sondern sich mit den Performern und ihren starren Blicken konfrontiert sieht, ihnen ausgeliefert ist. Es werden unfassbar ehrliche Charakteristiken offenbart, einige davon wollte man gar nicht so genau wissen. Ein intimer erster Abend für uns und ein zweiter gelungener für die Festivalbetreiber geht mit dieser fulminanten Performance zu Ende.

Im Airbnb läuft sofort nach automatischer WLAN-Verbindung das Handy heiß und es gibt die aktuelle Berichterstattung: Ausschreitungen mit Einsatz von Tränengas am Zaun an der serbisch-ungarischen Grenze und es soll sogar ein weiterer an der kroatischen Grenze hochgezogen werden.

Am Donnerstagabend beschert das L1-danceFest im MU-Theater auf der Budaseite einen Abend ganz unter dem Schirm des Körpers. Matthew Rogers gibt mit seiner Performance „A fragile Son“ tiefe Einblicke in sein von Vaterproblemen zerstreutes Innenleben, wandert dementsprechend auf der Bühne von einer Baustelle zur nächsten und ist dabei viel zu ‚fucking american‘.

Die beiden folgenden Stücke italienischer Performer sind publikumsfreundlicher. Francesca Foscarini beeindruckt in „Cantando sulle ossa“ durch ihre makellose Körperbeherrschung und ihren fesselnden Blick, den sie bald jedoch auf den Boden richten wird, um als Insekt agierend fortwährend magnetisch zu bleiben.

Den komödiantischen Abschluss des Abends macht Silvia Gribaudi mit „What age are you acting?“. Sie bespielt vollkommen nackt mit ihrem fülligen Körper die Bühne, kommentiert und mokiert sich über das Körper- und Schönheitsideal der Tanzszene und zugleich wird durch ihren Bühnenpartner das Altersproblem dazu genommen. Dieser ist bereits 66 Jahre alt, was man ihm nur stellenweise ansieht, doch strotzt er nur so vor Energie und Lebenslust und weiß gar nicht wohin damit. Die beiden begraben sich unter Gurkenscheiben, um ewig jung und frisch zu bleiben und lassen das Publikum mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause gehen.

Dort gibt es dann das letzte, schockierendste und traurigste Stück dieses Festivalabends: Das Flüchtlingswarnvideo von Laszlo Toroczkai, dem Bürgermeister der ungarischen Grenzstadt Ásotthalom.

Der Freitag ist zwar nicht der letzte Tag des Festivals, doch der letzte, an dem es Performances zu sehen gibt. Wieder im MU-Theater werden zwei Stücke von Jaro Vinarsky gezeigt. Das erste hat er choreografiert, beim zweiten ist er Selbstdarsteller. „Xira“ zeigt die Schönheit, die Spannung, die Unwissenheit, die Freude und die Intimität der ersten Begegnung eines Paares. Matthew Rogers zeigt hier sein tänzerisches Talent. Seine Partnerin Sona Feriencikova verzaubert durch Weichheit und Anmut.

Vinarskys Solo „The Last Step Before“ spielt sich komplett im Dunkeln ab, nur schemenhaft ist er zu erkennen, mit einem Samurai zu verwechseln, da er nur spärlich rot beleuchtet wird. Das Publikum wird ausgegrenzt, man sieht niemanden um sich herum, nur den Tänzer auf der Bühne und das ist reine Formschönheit. Die nächsten beiden Teile machen dies allerdings zunichte, da die Bewegungen nun im Licht stattfinden und wirr ablaufen. Auch wenn der erste Teil für sich hätte stehen sollen, ist das Stück trotzdem ein würdiger Abschluss dieses sympathischen Tanzfestivals in Budapest.

Es war ein höchst intimes und familiäres, das sich teilweise durch großartige Performances sowie durchdachte Themenzusammenstellung der Abende auszeichnete. Die Leiterin Márta Ladjánszki hat einen äußerst guten Job gemacht, weswegen es schade ist, dass sich nur wenige Gäste in die Spielstätten bequemten.

Der Rückweg musste wieder über Umwege geschehen und wurde gekrönt durch den skurrilen Anblick des Zusammentreffens bierdurstiger Wiesngänger und ängstlicher Flüchtlinge im Regionalzug nach München.
 

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