Wiederholung und Differenz - Drei Duette. Ein choreografisches Triptychon von Jutta Hell und Dieter Baumann

Wiederholung und Differenz - Drei Duette. Ein choreografisches Triptychon von Jutta Hell und Dieter Baumann

Bewegende Splitter eines Lebens

Rubato wird 30: „Wiederholung + Differenz“ in den Uferstudios Berlin

In wechselnder Besetzung und Tänzerzahl sind bislang 55 abendfüllende Stücke entstanden, die Berlins Szene geprägt haben. „Durch Reduktion der tänzerischen Mittel viel herauszufinden“, sagen beide, sei ihr Anliegen.

Berlin, 29/09/2015

Weit hinten auf der Szene des Uferstudios stehen sie im matten Schein nebeneinander auf hellem Grund, führen Schüttelbewegungen synchron aus, ehe es zur Phasenverschiebung kommt, mit leichten Hüpfern und gereckten Armen. Alt-Saxophon und Elektronik in Reinhold Friedls Klangkulisse sind unaufdringliche Begleiter, wenn Blicke des Einverständnisses die Interpreten verbinden, sie breitbeinig Raumpositionen durcheilen. Bisweilen bricht es fußflink aus ihnen heraus, separieren sie sich bis zu Distanz. Gemeinschaft aber verknüpft sie über räumliche Entfernungen hinweg, führt immer wieder zu Gleichtanz. Aufwallung verebbt dann, Trennendes versandet infolge Unwichtigkeit. Wenn kleine Eigenheiten wohl bleiben, endet das Duett in Gemeinsamkeit. „Dingzu Bu“ heißt es und nutzt Material aus fünf chinesischen Volkstänzen, die Jutta Hell und Dieter Baumann erlernt haben. Wie original die Schritte und Gesten auch sein mögen, in der Anverwandlung erlangen sie eine eigene Interpretation. Und die hat strikt mit dem zu tun, was das Tänzerpaar verbindet. Darin liegt die verblüffende Wirkung jenes kurzen Duos: Asiatisches Bewegungsgut dient der persönlichen, auch humorvollen Aussage über das, was zwei Menschen trennt und gleichermaßen eint. Die Recherche danach setzt sich in zwei weiteren Duetten fort, die der Titel „Wiederholung + Differenz“ klammert und die nicht nur partnerschaftlichen Befindlichkeiten nachfahnden, sondern ebenso eine Rückschau auf drei Jahrzehnte der choreografischen Suche nach Form, Inhalt, Ausdruck sind.

Auch wenn „Aus dem Archiv“ auf den Formenkanon mehrerer früher Stücke zurückgreift, steht dieses zweite Duett zurecht im Zentrum des Abends. Die Fragmente fügen sich zum subtilen Bilderbogen um Geborgenheit, Fallenlassen, Aufgefangenwerden, Inbesitznahme, Zurückweisung, Fortwollen. Dass ein Gefühl von Zusammengehörigkeit stets obsiegt; dass sie sich dem Partner vertrauensvoll ausliefert, sich ihm anschmiegt und streicheln lässt; dass sich beide am Ende in der gleichen Bewegung erneut finden, macht dieses Destillat, anrührend erfunden, durchdacht und gearbeitet, zu einem eigenständigen Stück von starker Emotionalität, der die Musik von Wolfgang Bley-Borkowski, dem langjährigen Weggenossen, dezente Akzente unterlegt.

Wie bunte Splitter eines Lebens hängen all die geometrischen Mobiles, Bögen, Trapeze, Segmente, Winkel, über der Bühne im Nachbarraum. Die chinesische Künstlerin Bi Rongrong scheint sie einem Gemälde ausgeschnitten zu haben. Von verschiedenen Seiten betreten Hell und Baumann in „American Finch“, dem Schlussduo, den wiederum hellen Boden. Wie zwei Vögel flattern sie, jeder erst für sich, unter den in Schwingung versetzten Schnipseln über die Diagonale. Jung und ausgelassen wirken sie, gelöst wie staunende Kinder in einem unbekannten Kosmos. Es scheint die Leichtigkeit des Alters zu sein, die Gewissheit auch ausgestandener, siegreich beendeter Kämpfe, die sie so ungezwungen, fast schlaksig die Hüften kreisen, liebevoll die Arme auflegen lässt. Besitzenwollen ist der Sicherheit einer gemeinsamen Zukunft gewichen. Nur einen Moment lang dirigiert jetzt sie ihn, ehe sie wieder zusammen durch Raum und Leben turteln, fröhlich einander austricksen und tanzend den Saal verlassen, im Aufbruch zu Neuem. Nicht ganz so stringent wie Teil zwei mag dieses Duett sein, hebt dessen Schwere jedoch angenehm ins Optimistische auf.

Frei im Vortrag lässt sich Rubato übersetzen. Was die Musik meint, haben sich Hell und Baumann vor drei Dezennien als Namen ihrer Tanzkompanie erwählt. In wechselnder Besetzung und Tänzerzahl sind 55 abendfüllende Stücke entstanden, die Berlins Szene geprägt haben. „Durch Reduktion der tänzerischen Mittel viel herauszufinden“, sagen beide, sei ihr Anliegen: „Die Welt geht durch uns hindurch, wir filtern heraus, machen sichtbar, was in den Körpern steckt.“ Es gebe keinen Kodex, Bewegung entstehe stets durch das gewählte Thema. Bei einem Workshop in Spanien haben sie sich einst getroffen, der Kunstradfahrer/Artist Dieter Baumann aus Baden-Württemberg und die Tänzerin/Gymnastin Jutta Hell aus Niedersachsen. Ein Jahr später, 1985, gründen sie Rubato, überstehen Brüche und Neuanfänge. Gerhard Bohner wird wegweisender Mentor. In den USA haben sie weiter gelernt, leisten seit 1995 Pionierarbeit für den zeitgenössischen Tanz in China, sind mit Produktionen weltweit getourt. Dass sie all die Jahre über konsequent ihren Prinzipien vertraut haben und nicht kurzlebigen Trends gefolgt sind, mag das Geheimnis eines einzigartigen Langzeiterfolgs sein, den nun auch eine Dokumentation im Bild nachzeichnet.

www.tanzcompagnie-rubato.de

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