Ausdruck seelischen Erlebens

Das Verborgene Museum zeigt Fotos zum Thema „Tanz der Hände“

Hände sind im Tanz ein elementares Ausdrucksmittel. Die Berliner Ausstellung bietet eine historische, multimediale Übersicht.

Berlin, 06/10/2015

Hände sind im Tanz ein elementares Ausdrucksmittel. Die Mudras im indischen Tanz haben darüber hinaus auch eine erzählerische Funktion, die Eingeweihte zu lesen verstehen. Im Ausdruckstanz zu Anfang des 20. Jahrhunderts kommen den Händen hauptsächlich emotionale Aussagen zu: Sie künden mit ihrer fast unendlichen Formenvielfalt vom inneren Befinden der dargestellten Figur, können gar, wie einst die „Betenden Hände“ bei Dürer, für sich allein stehen, ohne den zugehörigen Körper.

Besonders zwei Tänzerinnen aus dem Wien der späten 1920er machten sich diesen Effekt zunutze. Beide waren sie Solistinnen an der Staatsoper, beide auch unzertrennliche Freundinnen. Vertrat Tilly Losch das Fach der weiblichen Verführerin, brillierte Hedy Pfundmayr häufig in Hosenrollen. Als sie 1927, gemeinsam mit dem jungen Harald Kreutzberg, bei den Salzburger Festspielen Händetänze zeigten, bedienten sie nicht nur den Zug der Zeit hin zu einer tiefenpsychologischen Deutung des Handspiels. Sie hatten damit zudem ein eigenes Ausdrucksmerkmal gefunden. „Tanz der Hände“ heißt als Übernahme aus Wien eine Ausstellung im Verborgenen Museum, die würdigt, was die zwei ungewöhnlichen Solistinnen geleistet haben. Gleichsam setzt sie jenen Fotografen zumeist weiblichen Geschlechts ein Denkmal, die in Studioaufnahmen den Reiz der Vorstellungen nachinszeniert haben.

Da lagert Pfundmayr im Langkleid diagonal mit geschlossenen Augen, posiert als Salome vorm Haupt des Jochanaan, zeigt sich mit üppigem Fledermauskopfputz, faltet die Hände als „Mädchen aus Palästina“, blickt kokett über die Schulter in „Spanische Suite“, ist Potifars Weib mit leer herbem, perlendrapiertem Gesicht inmitten von Stofffluten. In dieser Rolle aus Richard Strauss' „Josephslegende“ trat sie an der Wiener Staatsoper auf, gastierte damit am Teatro Colón in Buenos Aires. Auch im dramatischen Spiel von Licht und Schatten rückt die Fotoserie um Elektra, wie Rudolf Koppitz sie festhielt, Pfundmayr unter einer Maske mit angstvoll aufgerissenen Augen und fletschenden Zähnen als gestisch starke Interpretin in den Blickpunkt. In „Olympiade zu zweit“ mit Mila Cirul beweist sie ihr clowneskes Talent; die „Jazz-Mouvements“ indes verharren eher im Gestus des Ausdruckstanzes.

Während eine Fotostudie ihre rankenden Hände präsentiert, ist Tilly Losch ein ganzer, wenngleich fünf Minuten kurzer, Film gegönnt – stumm freilich und aus dem Jahr 1928. Wie Schlingpflanzen, Lilien, Tentakeln wirbeln ihre weißen Hände im Kontrast zum schwarzen Kleid über die Leinwand. Sie seien die schönsten der Welt, behauptet ein Zeitungstext, den wunderbar plastische Aufnahmen illustrieren, mit einem Gesicht voller Unschuld und trotziger Locke auf der Stirn. Die schöne, warmherzig lachende Frau mit Zigarette fixiert auch ein Porträt von 1933. Da hatte sie, die 1927 in Max Reinhardts „Sommernachtstraum“ für die Salzburger Festspiele tanzte und choreografierte und mit ihm nach London ging, bereits Gastspiele mit Kreutzberg und Auftritte mit Fred Astaire in New York hinter sich. Ihr Gatte finanzierte dort „Les Ballets 1933“ unter der Leitung von George Balanchine, der für sie und Lotte Lenya Brecht/Weills „Sieben Todsünden“ kreierte.

Um Losch und Pfundmayr herum gruppiert die Ausstellung weitere Exponenten tanzender Hände. Aus Wien sind das Mila Cirul, Otto Werberg, Tony Birkmeyer, Rosalia Chladek und – als busenfreier Weinstock und anbetender Akt – Claire Bauroff, aus Berlin Rolf Arco als entsetzter Gigolo mit filigranen Fingern, die Salome der Valeska Gert, der Kobold des Hannes Krock, Kreutzberg in „Choral“. Koppitz, Trude Fleischmann, Grete Kolliner und Dora Kallmus in Wien, Yva, Lotte Jacobi und Suse Byk haben das in ihren Berliner Ateliers fotografiert. Bis zu Anita Berber und Sebastian Droste, jenem skandalumwitterten Tanzpaar, als „Märtyrer“, bis zurück zur Nackttänzerin Olga Desmond, die den Reichstag beschäftigt hatte, reicht der Überblick zum „Tanz der Hände“. Dass dabei auch Mary Wigman, hier im „Sommerlichen Tag“ aus dem Zyklus „Schwingende Landschaft“ – von „ihrer“ Fotografin Charlotte Rudolph konterfeit – nicht fehlen darf, versteht sich.

Bis 31.1., Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, Berlin-Charlottenburg 

www.dasverborgenemuseum.de

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