„Piaf“, Béjart Ballet Lausanne

„Piaf“, Béjart Ballet Lausanne

Das Béjart-Repertoire wächst und wächst

Das Béjart Ballet Lausanne präsentiert am Stammsitz Lausanne vier attraktive Ballette

Zum 100. Geburtstag von Edith Piaf (1915-63) hat das BBL das mitreißende Stück „Piaf“ wieder aufgegriffen, kreiert 1988. Und Gil Roman präsentierte seine Neuschöpfung „Tombée de la dernière Pluie“, ein graziles Stück mit Tiefgang.

Lausanne, 19/12/2015

Der 2007 verstorbene Maurice Béjart hat unzählige Ballette kreiert. Einst wollte er sie alle nach seinem Tod auslaufen lassen, dann besann er sich eines Besseren. Heute stehen über 20 seiner Werke, kurze und abendfüllende, auf der Repertoireliste des Béjart Ballet Lausanne (BBL). Der frühere Startänzer Gil Roman leitet die Truppe. Er ist wesentlich an den Rekonstruktionen beteiligt, hat sie aufgefrischt - und daneben ein eigenes Repertoire von sieben Stücken kreiert.

Jetzt präsentierte das BBL im Lausanner Théâtre de Beaulieu vier Werke, drei von Béjart und ein neues von Gil Roman. Und siehe da: Sie wirken alle höchst vital, entgegen den Befürchtungen, der Béjart-Stil habe sich allmählich überlebt. Der 40-köpfigen Truppe (Anteil Schweizer: null) gehören Tänzer und Tänzerinnen an, die der Meister noch selbst engagiert hat: Julien Favreau, Oscar Chacón, Kateryna Shalkina, Elisabet Ros. Die männlichen Namen sind bei dieser Aufzählung bewusst an den Anfang gesetzt, weil Béjart ein ausgesprochener Männer-Choreograf war.

Neben den ‚alten’ Stars tanzen viele junge im Lausanner Programm, darunter echte Schönheiten: Elegante Männer mit Sixpack, nymphenhafte Frauen voller Selbstbewusstsein.

Zehn solche Tänzerinnen hat Gil Roman in seinem neuen Stück „Tombées de la Dernière Pluie“ eingesetzt. Sie umflattern einen Mann (Favreau), Macho von einst, dessen Welt in Trümmer gegangen ist, im wörtlichen und übertragenen Sinn. Ein Video zeigt, wie er in die Tiefe seiner Erinnerungen steigt, zu der die jungen Frauen gehören. Neben oder trotz diesen abgründigen Seiten ist „Tombées de la Dernière Pluie“ ein sehr graziles, stimmungsvolles, an Jungendstil erinnerndes Ballett. Fliessend getanzt zu Schuberts Kammermusik und Rhythmen der Westschweizer Band „Citypercussion“.

Von Béjart kamen in Lausanne sehr unterschiedliche Choreografien zum Zug. Zwei Stücke, die schon längere Zeit im Repertoire stehen, hat das BBL kürzlich auch in Stuttgart gezeigt (siehe tanznetz-Besprechung von Boris Michael Gruhl vom 1.12.2015). „Le Mandarin Merveilleux“ (1992) zur Musik von Béla Bartók ist eine expressionistische, brutale Choreografie. Béjart, unter anderem inspiriert vom Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang, hat die Handlung im Ganovenmilieu der Zwanzigerjahre angesiedelt. Die Rolle der Prostituierten wird von Lawrence Rigg en travestie getanzt, der Mandarin in Mao-Kleidung von Masayoshi Onuki – atemberaubend! Béjarts pathetisch-romantische Seite zeigt das Duett „Liebe und Tod“ (2002) mit Chacón und Shalkina zu Liedern von Gustav Mahler.

Am 19. Dezember 2015 wäre die legendäre französische Sängerin Edith Piaf (1915-63) hundert Jahre alt geworden. Just auf dieses Datum hin hat das BBL Béjarts süffiges Ballett „Piaf“ (1988) wieder aufgenommen, ein reines Männerstück. Zu acht der berühmtesten Chansons stürzen sich die Tänzer auf die Bühne, gruppenweise oder mit Soli der erotischen, anzüglichen, auch komischen Art. Die Mademoiselle de Paris hätte ihre Freude daran gehabt.

Seit acht Jahren leitet Gil Roman, der sich auch heute noch gelegentlich zum Tanzen hinreißen lässt, das Béjart Ballet Lausanne. Wie alle Nachfolger als Leiter berühmter Originaltruppen (Martha Graham, Alvin Ailey, auch Pina Bausch) muss er sich mit der dringenden Frage auseinandersetzen: Wie halte ich das choreografische Erbe lebendig, ohne ins rein Museale zu verfallen? Wie lässt es sich mit Neuschöpfungen kombinieren? Müssen diese so genial sein wie die überlieferten Werke?

Schön wär’s, doch auch eine glatte Überforderung! Gil Romans Ballette sind nicht so plastisch-einprägsam wie die von Maurice Béjart, der neben Meisterwerken allerdings auch gelegentlich Schrott produzierte. Romans im Repertoire stehende Stücke leben von Zwischentönen und individuellen Reizen. Aber alle haben sie eine Qualität, die weit übers Dekorative hinausgeht.

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