„Altro Canto 1“ von Jean-Christophe Maillot

„Altro Canto 1“ von Jean-Christophe Maillot

Kinetisch, ästhetisch, gut

Les Ballets de Monte-Carlo mit „Altro Canto 1“ und „Vers un pays sage“ in Ludwigsburg

Zwei Stücke, gegensätzlich wie Tag und Nacht, vereint dieser Abend, der von Kennern und Liebhabern gefeiert wird.

Ludwigsburg, 17/01/2016

Der Tanz ist ein Flaggschiff der Gastspielreihe im „Forum am Schlosspark“. Liebhaber und Kenner feiern „Les Ballets de Monte-Carlo“ mit dem Zweiteiler aus „Vers un pays sage“ (1995) und „Altro Canto 1“ (2006). Das Programm zeigt die Stärken des Choreografen Jean-Christophe Maillot: Musikalisch und elegant wie Hans van Manen, dem Flow folgend wie Jiří Kylián und aufgeschlossen für Experimente wie Paul Lightfoot/Sol Leon vereint Maillot Qualitäten der niederländischen Neoklassik dreier Generationen mit dem schöpferischen Selbstverständnis eines Franzosen, der aus einer Künstlerfamilie stammt und sich souverän in der europäischen Kunstgeschichte bewegt.

Der Titel „Vers un pays sage“ bedeutet „Unterwegs zu einem besonnenen Land“, spielt aber auch mit dem Begriff ‚paysage, Landschaft’. Es ist eine Hommage an Jean Maillot, den Vater des Choreografen, der Maler und Bühnenbildner war. Weniger beschauliche Landschaft, mehr andauernde Metamorphose, entwickelt sich die Choreografie aus dem Spannungsgefüge von Bühnenbild und Musik.

Auf der Projektionsfläche im Hintergrund besänftigen fließende Farbwechsel - von Zitronengelb über Blau, Orange, Graugrün bis Puderrosa die Stimmung. John Adams‘ minimalistischer Soundtrack „Fearful Symmetries“ hingegen beschleunigt den Puls. Im eiligen Kommen und Gehen des Ensembles potenziert sich die kinetische Kraft der Musik: Rennen, schleudern und springen, im Laufe dieses Unterwegsseins geraten die Akteure in einen Bewegungsrausch. Mit abwärtskreiselnden Pirouetten und rasanten chaines mit nach oben gezogenen Armen steigern die Tänzerinnen und Tänzer das Tempo, als wollten sie es mit Eiskunstläufern aufnehmen. Am Ende dieses quecksilbrigen 25 Minuten-Stücks verschwindet das letzte Paar hinter einem halbtransparenten Landschaftsbild, ein Relikt des väterlichen Oeuvres.

Thematisch sind „Vers un pays sage“ und „Altro Canto 1“ gegensätzlich wie Tag und Nacht. Sakrale Gesänge, Lautenspiel und Harfenklang von Claudio Monteverdi, Biagio Marini und Johann Hieronymus Kapsberger. Ins mystische Dunkel schweben dazu Kerzen aus dem Bühnenhimmel, tanzen mal in geordneter Reihe, mal in Paaren, mal in loser Anordnung, häufig analog zum Ensemble. An der Schnittstelle von geistlicher und weltlicher Kunst verwandelt sich Bild- und Körpersprache in choreografische Ornamente und liturgische Stilistik. Ästhetische Fragmente aus Renaissance, Manierismus und Barock sind anspielungsreich eingebunden – bis hin zu den goldenen Kostümkreationen von Karl Lagerfeld, deren schlanke Hosen und flache Korsagen Unterkleidern der Renaissance entlehnt zu sein scheinen, während die pumprunden Miniröcke sehr barock anmuten.

Fragen tauchen auf, die sich weniger um Tanz und Choreografie drehen, als um Kerzen, Cross-Dressing und Genderdiskurs. Kurzfristig wurde die Programmfolge umgestellt. Eine kluge Entscheidung, denn nach den 38 meditativen Minuten von „Altro Canto 1“ tut es gut, mit dem Elan von „Vers un pays sage“ wieder ins Hier und Jetzt katapultiert zu werden.
 

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