NDT III reloaded?

Das Dance On Ensemble stellt sich mit „7 Dialogues“ beim Holland Dance Festival vor

Am Beginn der 15. Folge vom Holland Dance Festival Den Haag, zehn Jahre nach dem traurigen Aus von NDT III, gaben die sechs Tänzer der Altersgruppe „40+“ ihren Einstand. Kein Zweifel allerdings: Es liegt noch ein langer Weg vor ihnen, ist das Ziel wirklich das legitime Erbe von NDT III.

Den Haag, 30/01/2016

Seufzer der Erleichterung und kleine Jubelschreie gingen durch deutsche Tanzlande bei der Ankündigung, dass mit der Gründung eines Dance On Ensembles endlich die ältere Tänzergeneration zum Zuge kommen soll. Am Beginn der 15. Folge vom Holland Dance Festival Den Haag, zehn Jahre nach dem traurigen Aus von NDT III in dieser Stadt, gaben die sechs Tänzer der Altersgruppe „40+“ ihren Einstand. Kein Zweifel allerdings: Es liegt noch ein langer Weg vor ihnen, ist das Ziel wirklich das legitime Erbe von NDT III.

Freilich peilt das deutsche Pilotprojekt noch andere Aspekte als die künstlerische Performance an. Dance On ist eine Initiative des Berliner Büros für Gestaltungsveränderungen Diehl+Ritter. Die rührigen Tanzvermittler Ingo Diehl und Madeline Ritter wollen und sollen auch das ganze Spektrum von Bewegung im Alter ins Visier nehmen. Der Bund unterstützt die nach dem Vorbild des Bundesjugendballetts auf vier Jahre ausgelegte Arbeit mit 1,5 Millionen Euro. So soll es in der Reihe „Lokal“ im Rahmen von Workshops für Laien auch zu echten Dialogen mit den Profis kommen. Wissenschaftliche Untersuchungen sollen das Thema Alter erforschen. In Den Haag verteilte Madeline Ritter schon mal erste Fragebögen - leider mit so wenig differenzierten Fragen, dass der wissenschaftliche Ertrag eher spärlich ausfallen dürfte.

Als eine erste Vorstellung der Tänzer aus vier Nationen und gebürtig zwischen 1966 und 1975 war das kleine Programm „7 Dialogues“ gedacht, das nach Den Haag auch in Berlin, Hamburg und bei der Tanzplattform gastiert. Paare aus je einem Tänzer mit einem Choreografen eigener Wahl erarbeiteten sechs kleine, so weit möglich, charakterisierende Soli. Als siebter Partner sorgte der Musiker Matteo Fargion für Skelett und Zusammenhalt. Allerdings machten sein beiläufig simples Klaviergeklimper und die kabarettistisch gewitzt gemeinten Zwischenrufe wenig Eindruck, und sein Vorschlag, die Soli auf die Takt- und Vers-genaue Struktur von Schuberts Lied vom „Erlkönig“ gab kaum nachvollziehbaren Sinn.

Dass alle Tänzer freilich über fulminante Technik, Körperbeherrschung und Ausstrahlung verfügen - daran besteht kein Zweifel. Pantomime und Sprache ergänzten und unterstrichen die Bewegungen. Beweggründe, weiter zu tanzen, werden mit sarkastischem Augenzwinkern eingeflochten: „The fame, the glory, the cash.“ Aber vor allem deuten die kaum jeweils acht-minütigen Auftritte die künstlerische Gewichtung und Persönlichkeit an. Sachlich, scheu, fast linkisch plagt sich Jone San Martin, ehemalige Forsythe-Tänzerin, mit Hilfe von Spickzetteln durch ihre winzigen Episoden - geht zurück, so scheint's, in die Vergangenheit. Einen heroischen Kampf gegen ein Mikrophon nimmt im schwarzen Ganzkörpertrikot ihr spanischer Landsmann Amancio Gonzalez auf. Die gebürtige Südafrikanerin Ami Shulman beeindruckt tief mit hinreißend schönen, eleganten Studien, meist auf dem Platz - aber ein ganzer Kosmos wird daraus! - die in den aufgefächerten Fingern und Körperhaltungen immer wieder auch indischen Bharatanatyam zitieren.

Kaum ist Gelegenheit, diese hochästhetische Nummer ausklingen zu lassen - da platzt schon ein dramatisch plärrender Muskelprotz mit eindrucksvoller Brustbehaarung, blonder Perücke und von Lippenstift verschmiertem Mund im rot getupften knappen Slip herein. Der Amerikaner Christopher Roman, vormals stellvertretender Direktor der Forsythe-Company und nun künstlerischer Leiter dieses neuen Ensembles, zieht eine schrille, virtuos aberwitzige Show ab. Leise, sensibel und sehr feminin folgt, wunderbar anheimelnd Brit Rodemund und ruft deutsche Tanzart wach. Sie verrät, wie mehrere andere vor ihr: „I think I don't want to be minimal any more!” Und doch können sie's nicht lassen - jetzt um so mehr. Der ernste Amerikaner Ty Boomershine - ein Gentleman mit gepflegtem Bart und glänzend poliertem Schädel - bereitet den krönenden Ausklang. In edlem weißen Crinkle-Shirt und weißer Kniehose über den weißen Strümpfen zelebriert er sein Solo wie eine Hommage an Merce Cunningham und erinnert in den stilisierten, akkurat abgewinkelten Armen mit den ausgestreckten Händen an Oskar Schlemmers Puppen. Was für ein edler Höhepunkt!

Als ein Pendant zum Dance On Ensemble wird beim Festival „Good Old Times“ auftreten - entstanden aus den Workshops für ehemalige Tänzer und Laien ab 55. Eine Kostprobe von der Gruppe war bei der Festival-Eröffnungs-Gala zu sehen, bei der auch die meisten anderen gastierenden Ensembles, angereist aus Ländern von Neuseeland bis Kanada, sich kurz präsentierten im Ausweichquartier Zuiderstrandtheater direkt am Meer in Den Haags Badevorort Scheveningen, während an der Stelle des legendären Lucent Dans Theaters, jahrzehntelang Domizil des Nederlands Dans Theater, ein gigantisches Kulturzentrum im Entstehen ist und 2020 eingeweiht werden soll.
 

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